LCB
Sascha Macht

Sascha Macht

Leipzig, Deutschland

Zu Gast im LCB:
September 2017

Sascha Macht, geb. 1986, studierte am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. 2015 nahm er an der LCB-Autorenwerkstatt Prosa teil. Mit seinem Debüt »Der Krieg im Garten des Königs der Toten« wurde er mit dem Silberschweinpreis der Lit.Cologne ausgezeichnet. Sascha Macht erhält das Aufenthaltsstipendium des Berliner Senats.

Sacha Macht © Alina Himmelbauer

»Wie lang hält der Schmerz an, was ist ein Haus, wie klingt der Supermond?«

Woran arbeitest du gerade?
Ich schreibe an einem Episodenroman über vier Frauen, deren Lebensgeschichten in einem sowohl albtraumhaften als auch hoffnungsfrohen Nachkriegseuropa vom Ende der 1950er bis Anfang der 1990er Jahre erzählt werden – inklusive verliebter Terroristinnen, der Entdeckung der Punk-Oper, dem Aufstieg mehrerer miteinander konkurrierender Weltuntergangsreligionen und einer Invasion riesenhafter Insekten.

Wie beeinflusst dein Aufenthalt im LCB deine Arbeit?
Vernünftigerweise habe ich in der kooperativen Einsamkeit des LCB die Gelegenheit genutzt, mich ausgiebig mit mir selbst zu beschäftigen – das führte zu einigen sonderbaren Handlungen, von denen ich jetzt lieber schweigen möchte, ermöglichte mir jedoch, eine Reihe von Fragen an mich selbst zu stellen, die, strikt von mir ausgehend, viel mit meinem Leben unter anderen Menschen zu tun haben: Wie will ich denken? Wovor habe ich Angst? Was wünsche ich mir von mir selbst, von anderen Menschen, vom Weihnachtsmann? Braucht die Literatur durchgehende Erzählungen (Vorläufige Antwort: Ohgottohgott, nein!)? Was bereitet mir große Freude? Wie bekommt man die AfD zerstört? Welche Bedeutung hat ein Tier für mich, der Wald, ein UFO, der Sumpf, die Enttäuschung, ein unbeteiligtes Gespenst, das leere Tal, die dumpfe Musik der Zukunft? Wie will ich sprechen? Was ist Hass (gegen andere, gegen mich selbst), was ist Liebe (zu anderen, zu mir selbst), wie lang hält der Schmerz an, was ist ein Haus, wie klingt der Supermond? Warum habe ich keinen eigenen Motorradclub? Wie gehe ich mit Traurigkeit um? Wer hat meine EC-Karte gefunden? Was liegt in Neukölln verborgen? Warum kann ich von Glück reden?
Habe ich hier Antworten auf ein paar meiner Fragen erhalten? Das habe ich.

Welche Erfahrungen wirst du mit nach Hause nehmen?
Ich habe lange in den Herbstnebel über dem See geschaut. Ich habe mit Theresa Schwarzlicht-Minigolf im Görlitzer Park gespielt. Im Spionagemuseum am Potsdamer Platz habe ich ein Glasauge gesehen, in dem die einäugigen Agenten des Kalten Krieges ihre Nachrichten schmuggelten. Mit Mathias war ich fein aus in Charlottenburg, ebenso mit Pia, Anna und Christina. Beim Frühstück habe ich einen kleinen Käse auf den Namen LCBabybel getauft. Einmal hatte ich einen mörderischen Fieberschub. Gemeinsam haben Olaf und ich mein liegengebliebenes Auto gestartet. Manchmal war ich sehr, sehr müde. Ich habe die Bekanntschaft mit Tom Nisse gemacht, mit Adi Keissar, Rob Doyle, Undinė Radzevičiūtė, Oleksandr Panteliat, Julia Fiedorczuk, Triyanto Triwikromo, Iris Blauensteiner und Márió Z. Nemes. Von meinem Fenster im zweiten Stock aus habe ich einen Einbrecher in der Villa gegenüber beobachtet. Ich habe mit Luise moldauischen Selbstgebrannten getrunken. Ich habe versucht, einen Text über Viktoria aus Transnistrien zu schreiben, hatte mich jedoch längst in den blutdurchtränkten Weiten der Ukraine verloren. Ich bin so froh, dass Isabelle hier war. Einmal träumte ich in meinem brennenden Bett in dem brennenden Haus von einem brennenden Himmel über den brennenden Wassern des Sees und seinem brennenden Ufer. Einmal machte mir auch das Scheitern keinen Spaß mehr. Einmal stand ich hier bei Sonnenuntergang mit all meinen Freunden schweigend auf der Terrasse und wünschte mir, dass sie mich nie mehr verließen.

Das Interview wurde im Dezember 2017 geführt.

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Sascha Macht im Atrium des LCB, Dezember 2018, © LCB

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