Hört, hört! Ars Acustica Linguae
Schwerpunkt von »Sprache im technischen Zeitalter« 247
Die September-Ausgabe 2023 von »Sprache im technischen Zeitalter« widmet sich den Grenzbereichen akustischer Sprach- und Sprechkunst, die oft außerhalb der etablierten Domänen von Literatur stattfindet. Gemeinsam mit Martin Neusiedl entstand für diese Ausgabe eine Erkundung der »Ars Acustica Linguae«: Unter diesem ästhetisch offenen Begriff werden Arbeiten aus unterschiedlichen künstlerischen Szenen und Randzonen der Literatur gesammelt, die mit Sound, Text und Sprache experimentieren. Es geht um Soundscapes großer Städte, Kürzesttexte im Ostberliner Dialekt, Hörspielentwicklungen, Experimente mit ›Automatic Speaking‹, ›Phantomworte‹ und den Kanon der Lautpoesie. Klangkünstler·innen und Autor·innen haben Essays verfasst, Fragen beantwortet, Projekte rekapituliert. Sie gewähren Werkstatteinblicke und stellen kurze Arbeitsproben zur Verfügung, die man online hier nachhören kann.
Kuration und Texte: Martin Neusiedl und Vincent Sauer
Budhaditya Chattopadhyay – »The Nomadic Listener« (2020)
Die unbearbeiteten Field Recordings von Budhaditya Chattopadhyays »The Nomadic Listener« (Gruenrekorder, 2020) sind akustische Aufnahmen der Orte, an denen die unter dem selben Titel veröffentlichten Texte (Errant Bodies Press, 2020) entstanden sind. Durch situiertes Schreiben und Feldaufnahmen werden zeitgenössische Großstädte aus dem Modus des Zuhörens psychogeografisch erkundet.
Annette le Fort – »Der grüne Heinrich« (2023)
Annette le Forts Hörstück »Der grüne Heinrich« (2023) ist in Zusammenarbeit mit der Mutter der Künstlerin enststanden, die als Synästhetikerin sprachliche Klänge mit Farben verbindet. Eilith le Fort durchblättert Gottfried Kellers Roman, liest in den Text hinein, spricht zu sich selbst und lässt die Farben, die zum Teil im Widerspruch zu den von Keller beschriebenen stehen, vor ihrem inneren Auge entstehen.
Michael Barthel & Ulrike Uhlig – »Kleene Texte, Grosse Fresse« (2023)
Eine Auswahl der unter dem Titel »Kleene Texte, Grosse Fresse« als Audiokassette (Econore, 2023) veröffentlichten Sprechstücke in Ost-Berliner Dialekt von Michael Barthel liegt hier zum Anhören und in der Zeitschrift auch in verschrifteter und graphisch gestalteter Form vor. Die Stücke werden gemeinsam mit der Künstlerin Ulrike Uhlig gesprochen. Sie befragen „Einigkeit“ und „Uneinigkeit“ in zwischenmenschlichen Beziehungen.
Verena Buttmann – »Die Schlantz, die Kured, die Kon« (2019)
»Die Schlantz, die Kured, die Kon« von Verena Buttmann wurde in der Form eines Gedichts und eines szenischen Musikstücks als 7“-Vinylplatte (Wirklichkeit Books, 2019) veröffentlicht und in Performances aufgeführt. Das dialogische Gedicht ist in einer fiktionalisierten historischen Sprache verfasst und offenbart eine Erzählung, die sich fließend zwischen theaterhafter Inszenierung und privatem Raum bewegt.
Jasmina Al-Qaisi – »Bine Biene« (2020)
»Bine Biene« (2020) von Jasmina Al-Qaisi wurde als Klanginstallation für die Ausstellung »New East Poetistas« im Projektraum Alte Feuerwache, Berlin produziert. Ausgehend von Gesprächen mit gleichaltrigen Frauen über die transgenerationelle Vererbung weiblicher Rollenmuster im Kontext von Fürsorge schrieb Al-Qaisi ein Langgedicht für die Stimme in den Sprachen Rumänisch, Englisch und Deutsch. Ein wiederkehrendes Motiv ist die Figur der unermüdlichen Gastgeberin („die fleißige Biene“) als verzerrter Archetyp weiblicher Identität.
Hanne Lippard – »Beige«
»Beige« ist die Abschlussarbeit von Hanne Lippard an der Amesterdamer Rietveld Akademie für Kunst und Design aus dem Jahre 2003. Über die unruhige Slideshow aus Beige-Tönen und beigefarbenen Dingen legt sich eine Stimme, die sich in Kommentaren, Anekdoten, Reflexionen dem Assoziationsraum ›Beige‹ nähert und aus dem Off heraus nach angenehmer Werbung klingt, aber implizit Erwartungen an Erfahrungen in einer durchdesignten Welt in Frage stellt.