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›Junivers‹ von Birgit Kreipe

›Junivers‹ von Birgit Kreipe

»Matibabu / Heilung« (L-ness)

Mehr Wörter für stark

Es war schon aufregend, L-ness auf der Bühne zu sehen, an diesem Aprilabend 2014: Die Scheinwerfer verbreiteten ein etwas geisterhaftes Licht im Lido, das Publikum wippte schon im Rhythmus der dröhnenden Beats: L-ness trug eine Sonnenbrille und wirkte noch cooler als sonst. Ihr Auftritt hatte eine solche Power, dass man sich ihr kaum entziehen konnte (wenn man das denn gewollt hätte). Der Auftritt war Teil des Spoken World Festivals Nairobi-Berlin, dessen TeilnehmerInnen abends in Veranstaltungen der Heinrich-Böll- Stiftung oder im Haus für Poesie auftraten und tagsüber diverse soziale Einrichtungen besuchten. Ich hatte von HipHop keine Ahnung, stand jetzt aber vor der Aufgabe, aus L–ness Song »Matibutu« in genreübergreifender Übersetzung ein Gedicht zu »zaubern«. Das Verb passte unter diesen Umständen.

L-ness ist eine der wichtigsten weiblichen MCs in Ostafrika. Sie hat mehrere Alben aufgenommen, darunter »Gal Power« von 2012. Sie hat sich mit ihrer Kunst in einer männlich dominierten Szene durchgesetzt und ernährt gleichzeitig ihre Familie mit Forschungsaufträgen und Bürojobs.  Sie spricht mehrere Sprachen, darunter Swahili und Englisch. Die Sprache ihres feministisch inspirierten Hiphop aber ist das kenianische Sheng, eine Slangsprache, in dem sich neben den offiziellen Sprachen Swahili und Englisch auch die vielen kleineren kenianischen Sprachen und Französisch als Bestandteile finden lassen. Sheng wandelt sich ständig. Keine Chance, aus eigener Kraft da hineinzufinden; aber sich ganz auf die klare und sachlich klingende Linearübersetzung verlassen?

Wir besuchten Literaturveranstaltungen, einen Hiphop-Club, ein Gefängnis für Frauen. Gefängnis bedeutete für L-ness etwas völlig anderes als für mich. Was sie in Berlin sah, ähnelte in ihren Augen mehr einem Campus; sie berichtete, nicht ohne Wut, wie ein Gefängnis in Kenia im Gegensatz dazu aussah, in welcher Verfassung eine Frau wohl das Gefängnis dort verlassen würde. Eine ähnliche Diskrepanz würde vielleicht auch auf Kinderheim zutreffen (das ebenfalls auf dem Plan stand) – und ganz bestimmt auf Feminismus, wie ich L-ness nüchternen Bemerkungen über die familiäre, wirtschaftliche und politische Situation vieler Frauen und Mädchen in ihrer Heimat entnehmen konnte. Und auf die Stärke, die es brauchte, gegenzuhalten – auch der eigenen Angst.

L-ness hat jahrelang im Empowerment für benachteiligte kenianische Jungen und Mädchen gearbeitet. Ihr feministischer Song »Matibutu«, auf Deutsch »Heilung« betitelt, ruft eine Reihe ikonischer afrikanischer Kämpferinnen, Schriftstellerinnen, Forscherinnen und Politikerinnen auf, darunter die auch in Deutschland bekannte Friedensnobelpreisträgerin und Umweltaktivistin Wangari Maathai (nach der in Wilmersdorf eine Schule benannt ist). Alle diese Persönlichkeiten haben eine wichtige Rolle in der kenianischen Öffentlichkeit und darüber hinaus gespielt – und sich gegen große Widerstände behauptet.

Für die Übersetzung blieb nicht viel Zeit, sie entstand innerhalb weniger hektischer Tage, und außer dem Glück, L-ness fragen zu können, ihr und den anderen überhaupt begegnet zu sein, bleibt auch eine genauere und unbehagliche Vorstellung davon, was in diesem Zusammenhang eigentlich unsere riesigen Privilegien als BürgerInnen der ersten Welt bedeuteten. Und: Ganz sicher brauchte es vor diesem Hintergrund mehr und unterschiedliche Bilder und Begriffe für Stärke.

Die Übersetzung sollte nicht aber nur nicht nur sprach-und kulturübergreifend, sondern eben auch genreübergreifend sein – es war ein Versuch und blieb wohl auch einer. Das politische Spoken Word oder HipHop funktionierte performativ anders als das, was ich unter einem Gedicht verstand, weniger indirekt, weniger auf das konzentrierte Lesen hin verfasst, vielmehr bühnen- und auch straßentauglich; es war ein politisches Statement, sollte agitieren und ermutigen. Trotzdem war es lyrisch, musikalisch und bildreich. Also ging ich vor allem von den Bildern aus, die ich im Text fand, und versuchte, deutsche Redewendungen einzubauen, um den geläufigen Tonfall einzufangen.

 

 

 

L’ness: Matibabu / Heilung (Auszug)

Hohler Riese, Minister für nichts. Member of Parliament: Immer noch gibt es so einen Riesenbedarf, an Gerechtigkeit, Gleichheit.

Schau. Wir waren winzige Nüsse, jetzt sind wir längst starke Bäume. Weisheit ist ein tausendjähriger Baobab auf Mount Kenya. Während du den Wald vor lauter Bäumen nicht siehst, wird sein Stamm dein ganzes Büro ausfüllen. Bis eines Tages der Satte die Hungrigen wahrnimmt, die große Lücke voller Krümel und Mist: Schluck deins runter, spuck Ihres aus. Bis ihre Zungen auf einmal vertrocknen, wenn wir im Parlament auftauchen – denk an Cecily Mbarire. Wir lassen die Verse aufblühen wie Grace Ogot. Wir kämpfen wie Winnie Mandela.

Frag Wakamba Wawili, wir haben jeden Kampf überlebt. Mit harter Faust wie Karua, mütterlich wie Charity, Julia Ojiambos reife Orangen. Wir sind wirklich, wie Wangari Maathai, für Bäume kämpfend … weil Verrückte wie wir tief verwurzeltem Gebüsch ähneln: Wir stehen auf kargem Boden, doch die Wurzeln verzweigen sich, wachsen zusammen, wachsen, bis sie das Grundwasser erreichen.

 

 

Cecily Mbaire: kenianische Politikerin

Grace Ogot: kenianische Dichterin und Politikerin

Wakamba Wawilie: kenianisches Hiphop-Duo

Martha Karua: kenianische Politikerin

Charity Ngilu: kenianische Unternehmerin und Frauenrechtlerin

Julia Ojiambo: kenianische Wissenschaftlerin und Politikerin, Mitbegründerin der Partei Orange Democratic movement

Wangari Maathai: kenianische Wissenschaftlerin und Politikerin, erste Friedensnobelpreisträgerin Afrikas

 

 

 

Birgit Kreipe

geboren 1964 in Hildesheim, studierte Psychologie und Germanistik und arbeitet als Psychotherapeutin, Autorin und Übersetzerin von Lyrik in Berlin. 2012 erschien ihr Gedichtband schönheitsfarm beim Verlagshaus Berlin, 2016 ihr Gedichtband SOMA bei kookbooks. Zuletzt publizierte sie in transistor und park. 2021 erscheint aire (kookbooks). Ihre Gedichte wurden mit dem Münchner Lyrikpreis und dem Irseer Pegasus 2014 ausgezeichnet. 2016 und 2021 erhielt sie ein Arbeitsstipendium des Berliner Senats. 2021/22 ist sie Stipendiatin der deutschen Akademie Rom, Casa Baldi.

Auch 2021 versetzt uns ein virtuelles JUNIVERS in den Kosmos der Poesieübersetzung. JUNIVERS spannt einen Bogen über viele Stationen und Interventionen bis hin zum 30. Juni, an dem ein internationales Übersetzungslabor und öffentliches JUNIVERZOOM zu Gedichten aus „Cosmos“ (Verlag Matthes & Seitz Berlin, 2020) von Dana Ranga das Programm beschließt. Den gesamten Monat hindurch werden ›Juniverse‹ veröffentlicht: Verse, die eine besondere übersetzerische Herausforderung veranschaulichen und das Universum der eigenen Sprache und poetischen Tradition aufscheinen lassen – eine virtuelle Anthologie!

JUNIVERS ist ein Projekt des TOLEDO-Programms. Kooperationspartner sind der Deutsche Übersetzerfonds, das Literarische Colloquium Berlin, die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia, die Stiftung Preußische Seehandlung und das Goethe-Institut.

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