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‘What country, friends, is this?’ (Brexit Night)
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‘What country, friends, is this?’ (Brexit Night)

10.02.20Kim Sherwood

I spent the night Britain left the European Union at my cousin’s college play. The campus theatre transported us to a cabaret in the Weimar Republic. The programme read Zwölfte Nacht. The producer’s notes explained they were excited by ‘linking the sexual ambiguity and fluidity’ of Twelfth Night to the transgressive modernity of 1920’s Berlin.

As the stage lights flared, it was a relief to set aside reactionary Brexit Britain. A relief to hear Shakespeare’s words in the fluting accent of the Russian student playing Orsino. A relief to enjoy the ‘gender blind’ cast adding another layer to Shakespeare’s crossed identities. To watch these seventeen-year-olds reach across genders, cultures and languages with all the frenetic permission of comedy.

My cousin played Malvolio. He made the conceited steward’s arc more gripping than I’d seen it before, beginning with a curled lip of condescension, before bursting onto stage cross-gartered in the yellow stockings he believes Olivia has demanded as a token of love. As he lunged after Olivia and thrust his chartreuse legs into greatness, I couldn’t breathe for laughter. We next saw him behind bars, begging to be released from darkness, to be seen and heard. I found it too painful to watch – I was relieved when the lights doused.

I couldn’t remember how Malvolio treats those who hoaxed him at the end. He came on wearing a black leather coat. His face had iced over. His voice the same. As he demanded an explanation, a tremor of rage broke the surface. He reached into his pocket, and took out a swastika armband. My stomach dropped.

‘I’ll be revenged on the whole pack of you.’

The court fled. In the play, the fool sings. But here, the actress stood mutely, eyes glittering with tears, ukulele silent.

We walked home through Bath, a town that retains its Georgian architecture, inspired by Roman ideas of beauty. On a Friday night it lurches with drunken students. A group of elderly men paused under a lamppost.

‘What time is it? We’ve got twenty-five minutes left. Perhaps we could still…’

I didn’t catch what they hoped to achieve.

Home. I was brushing my teeth when my partner said, ‘Listen. Brexit fireworks.’

‘Are you sure?’

‘11 p.m. on the dot.’

I opened the curtain. The street was dark. From the hill came the cannon of a fatally foolish island.

I remembered a line from the play: ‘What country, friends, is this?’

I don’t know anymore.

„Welch Land ist dies, ihr Freunde?“ (Brexit-Nacht)

10.02.20Kim Sherwood

In der Nacht, als Großbritannien aus der Europäischen Union austrat, habe ich mir eine Aufführung des Hochschultheaters meines Cousins angeschaut. Im Campus Theater fühlten wir uns wie in einem Varieté der Weimarer Republik. Auf dem Programm stand ein deutscher Titel: »Zwölfte Nacht«. Im Programmheft erklärte der Theaterproduzent, man habe die sexuelle Ambiguität und Fluidität von Shakespeares »Twelfth Night« mit der grenzüberschreitenden Moderne des Berlins der 1920er Jahre verbinden wollen.

Ich war erleichtert, das reaktionäre ‚Brexit Britain‘ im Flackern der Bühnenlichter beiseiteschieben zu können. Erleichtert, Shakespeares Worte im flötenden Akzent des russischen Studenten, der den Orsino spielte, zu hören. Erleichtert, der ‚geschlechtsneutralen‘ Besetzung dabei zuzusehen, wie sie Shakespeares vertauschte Identitäten um eine neue Ebene erweiterten. Diese Siebzehnjährigen über die Grenzen der Geschlechter, Kulturen und Sprachen schreiten zu sehen, wie es die Komödie mit Leidenschaft erlaubt.

Mein Cousin spielte den Malvolio. Ich habe nie eine fesselndere Darbietung des eitlen Haushofmeisters und seiner Geschichte gesehen als an diesem Abend: wie er herablassend die Lippen kräuselte, um anschließend in kreuzweise geschnürten, gelben Strumpfbändern auf die Bühne zu platzen, da er glaubt, Olivia hätte diese als Liebesbeweis gefordert. Als er sich auf Olivia stürzte und seine hellgrünen Beine der Hoheit zuwarf, konnte ich mich vor Lachen kaum halten. Als wir ihn das nächste Mal sahen, war er hinter Gittern und flehte, man möge ihn aus der Dunkelheit befreien, sodass man ihn sehen und hören könne. Es war zu schmerzhaft, um ihm dabei zuzusehen – ich war erleichtert, als das Licht ausging.

Ich konnte mich nicht mehr erinnern, wie Malvolio mit jenen, die ihn zum Narren gehalten haben, am Ende umgeht. Er trat in einem schwarzen Ledermantel auf die Bühne. Sein Gesicht war vereist, ebenso seine Stimme. Als er eine Erklärung verlangte, bebte er vor Wut. Er griff in seine Tasche und holte eine Hakenkreuzbinde heraus. Mir rutschte das Herz in die Hose.

„Ich räche mich an Eurer ganzen Rotte.“

Der Hofstaat floh. Im Stück singt der Narr. Hier jedoch stand die Schauspielerin schweigend da, ihre Augen tränenglänzend, die Ukulele still.

Durch Bath gingen wir nach Hause – eine Stadt, die sich ihre georgianische Architektur bewahrt hat, inspiriert von römischen Schönheitsvorstellungen. Freitagnacht taumeln für gewöhnlich betrunkene Studierende durch die Straßen. Eine Gruppe älterer Männer machte an einem Laternenpfahl halt.

„Wie spät ist es? Wir haben noch fünfundzwanzig Minuten. Vielleicht können wir noch…“

Ich habe nicht verstanden, was sie noch ausrichten wollten.

Daheim. Ich putzte mir gerade die Zähne als mein Lebensgefährte sagte, „Hör mal. Brexit Feuerwerk.“

„Bist du sicher?“

„Punkt 23 Uhr.“

Ich öffnete den Vorhang. Die Straße lag dunkel da. Von der Anhöhe her tönte das Geschütz einer trostlos törichten Insel.

Mir fiel ein Vers aus dem Stück ein: „Welch Land ist dies, ihr Freunde?“

Ich weiß es nicht mehr.

Übersetzung: Juliane Schallau

[Die Übersetzung der Originalzitate aus »Twelfth Night« (deutscher Titel: »Was ihr wollt«) folgt der deutschen Ausgabe von August Wilhelm Schlegel, Dorothea Tieck und Wolf Graf Baudissin: William Shakespeare. Komödien. Berlin: Aufbau Verlag 2009.]

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Kim Sherwood

Kim Sherwood was born in Camden in 1989 and lives in Bath. She pursued her MA in Creative Writing at the University of East Anglia and is now Senior Lecturer at the University of the West of England. She began researching and writing “Testament”, her first novel, after her grandfather, the actor George Baker, passed away, and her grandmother began to talk about her experiences as a Holocaust Survivor for the first time. “Testament” won the 2016 Bath Novel Award and was shortlisted for the Harpers’ Bazaar Big Book Award.

Kim Sherwood wurde 1989 in Camden geboren und lebt in Bath. Sie absolvierte ihren MA in Kreativem Schreiben an der University of East Anglia und unterrichtet heute als Senior Lecturer an der University of the West of England. Sie begann mit der Recherche und dem Schreiben ihres ersten Romans »Testament«, nachdem ihr Großvater, der Schauspieler George Baker, verstorben war und ihre Großmutter anfing, zum ersten Mal über ihre Erfahrungen als Holocaust-Überlebende zu sprechen. »Testament« gewann 2016 den Bath Novel Award und wurde für den Harpers‘ Bazaar Big Book Award nominiert.

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