Sensationell

„Sensationell“. In vertraulichem Ton, als würde er laut denken, geht dieses Wort eins ums andere Mal über die Lippen des Moderators, der wie eine Tortenfigur verkleidet ist: mit Smoking aus glänzendem Stoff, das Haar so gekämmt, daß es wirkt wie aus Plastik. Aber nein, der Moderator ist durchweg menschlich; „Sensationell“, sagt er, und wie er dabei empfindet, zeigen ein, zwei Tränchen; jemand muss eine ganz spezielle Schminke erfunden haben, die der Feuchtigkeit standhält. Es wäre unklug, im Fernsehen eine Szene zu liefern gleich der, die Visconti in seinem Tod in Venedig Gustav von Aschenbach erleben lässt – seine künstliche Haarfarbe zerfließt im Schweiß und rinnt ihm wie schwarze Tränen übers Gesicht. „Sensationell“, wiederholt der Fernsehmoderator in der blauen Deko-Umgebung mit Neonbeleuchtung, in dem er durch sein Frage- und Antwort-Programm führt. Er wird es zu der Mutter sagen, die beschlossen hat, bei der Show mitzumachen, weil sie von einem „vollen Kühlschrank“ träumt, mit Lebensmitteln für ihr Kind. Auch zu dem armen Kerl, der auf der Straße lebt und der sich eine Weile lang ein Dach über dem Kopf leisten können will. Und auch zu der Frau auf dem Foto, vor oder nach der Beantwortung der entscheidenden Frage: „Welcher berühmte Schönheitswettbewerb hatte 1951 Miss Schweden als erste Gewinnerin?“. Sie zögert: Sie hat lange Jahre studiert, ist Biologin, hat an den Universitäten von Buenos Aires und Berkeley promoviert. Sie forscht über „Makrophagen als therapeutischer Angriffspunkt bei Brustkrebs und Glioblastomen: therapeutische Strategien auf Grundlage der Verwendung von multifunktionalen Nanopartikeln“ zu der Frage, warum es bei manchen Brusttumoren zu Rezidiven kommen kann. Die Biologin nimmt einen „Joker“ in Anspruch, einen Freiwilligen aus dem Publikum, der bereit ist, die Frage zu beantworten. „Miss World“, sagt er. Der Moderator schweigt. Ein langes Schweigen. Verkündet dann: die Antwort ist richtig. Die Biologin des CONICET, Institut für wissenschaftliche Forschung des argentinischen Staates, freut sich: sie hat 500.000 Pesos gewonnen, knapp zehntausend Euro, die es ihr und ihrem Team möglich machen, ihre Forschungen fortzusetzen. Der Moderator sagt es: „Sensationell“. Und das ist es auch, und es kommen einem wirklich die Tränen, wenn die Versorgung mit Nahrung, Wohnung oder auch wissenschaftliche Forschung, dadurch ermöglicht werden, daß ein Fernsehprogramm sich ihrer annimmt. Eins mit hoher Einschaltquote, versteht sich.

Übersetzung: Lea Hübner