Frisch aus dem Archiv
Dichterlesen.net
Aus dem LCB-Veranstaltungs-Fundus: Unsere Hör-Tipps, die Ihnen unsere wertvollsten, kuriosesten und aufregendsten Lesungen aus den letzten 57 Jahren ins Wohnzimmer bringen oder Sie beim Spazieren begleiten, finden Sie hier versammelt.
Gibt es in der Literatur von Migranten überhaupt eine Vorstellung von ‚Muttersprache‘ und ‚Heimat‘? Marica Bodrožić und Deniz Utlu haben für den virtuellen Ausstellungsraum im Rahmen von Dichterlesen.net die Archive des Literarischen Colloquiums Berlin und des Deutschen Literaturarchivs Marbach gesichtet und jeweils einen eigenen Onlineparcours mit Bild-, Ton- und Textexponaten kreiert. Im Januar 2017 präsentierten Bodrožić und Utlu den Hörraum „Unterhaltungen deutscher Eingewanderten“ und diskutierten mit Florian Höllerer und Jan Bürger über die Sprache(n) der Migrationsliteratur und über Ihre Stellung in literarischen Dokumentensammlungen. Die Aufnahme dieser Veranstaltung ist unserer 100. Hörtipp und ein Vorspann zum 10-jährigen Jubiläum von Dichterlesen.net!
Noch nie wurden weltweit so viele Serien geschaut wie 2020. Eine Flut von Produktionen wird auf einen schnell wachsenden Markt gespült und dadurch entstehen neue, experimentelle Formen seriellen Erzählens. Wie verhalten sich diese Formen zu den Vorläufern des seriellen Erzählens aus dem 19. und 20. Jahrhundert? Welche politische Dimension haben diese Serien? Heute empfehlen wir die Aufnahme eines langen, seriellen Abend voller cliffhanger, suspense und überraschender Wendungen aus dem Literaturhaus Stuttgart — mit Joachim Küpper, Jörn Precht, Johannes Franzen, Anna Katharina Hahn, Kathrin Passig und David Wagner.
Fünf Autor·innen standen auf der Shortlist für den Preis der Leipziger Buchmesse 2020 in der Kategorie Sachbuch/Essayistik: Bettina Hitzer, Michael Martens, Armin Nassehi, Julia Voss und Jan Wenzel. Im März 2020 waren sie im LCB zu Gast und und unterhielten sich mit Andrea Gerk und Christian Rabhansl über historische Zusammenhänge zwischen Krankheit und Gefühl, den jugoslawischen Nobelpreisträger Ivo Andrić, die Digitaltechnik in der Struktur der modernen Gesellschaft, die Pionierin der abstrakten Malerei Hilma af Klint und über das Jahr 1990.
Juliane Lieberts Debüt lieder an das große nichts ist eine Sammlung von unmittelbar unter die Haut gehenden, ernsten oder pointiert witzigen und vor allem präzise erlebten Abrechnungen mit Alltag, Jungsein, Großstadt, Alkohol, Liebe und Tod. Im Lyrik Kabinett München sprach die Autorin mit Christian Metz über Pop und Poesie, Musik und Lyrik, Schimpf- und Koseworte, das kleine Alles und das große Nichts. Außerdem las sie einige ihrer Gedichte mit musikalischer Begleitung von Ani Mijatovic vor.
In den letzten Jahren mehren sich die Anzeichen dafür, dass auch Konsum als Form von Arbeit begriffen werden kann. Insbesondere das Marketing hat etliche Strategien entwickelt, um Konsumieren als Arbeit erfahrbar zu machen. Damit aber wird eine neue Klassengesellschaft möglich. Muss eine zeitgemäße Sozialpolitik deshalb stärker als bisher auch die Rolle des Konsums in den Blick nehmen? Und welche konkreten Forderungen ließen sich daraus ableiten? Darüber sprach Wolfgang Ullrich mit Julia Hoffmann in der 5. Ausgabe der Reihe Schlaglichter.
Alle Schlaglichter-Veranstaltungen könnt Ihr ab sofort bei dichterlesen.net nachhören und nachsehen!
Aus Splittern der Erinnerung fügt Helena Janeczek das Lebensporträt der ungewöhnlichen, im Spanischen Bürgerkrieg getöteten Fotografin Gerda Taro und setzt ihr ein literarisches Denkmal. Beim Internationalen Literaturfestival Berlin las Janeczek aus ihrem Roman »Das Mädchen mit der Leica« (Berlin Verlag, 2020) und sprach mit Maike Albath über Literatur, Fotografie und ihre Faszination für eine einzigartige historische Figur.
Der deutsche Proust ist seit vielen Jahren gleichbedeutend mit der einzigen, in den fünfziger Jahren bei Suhrkamp erschienenen Gesamtübersetzung und der von Luzius Keller revidierten Fassung aus den neunziger Jahren. Mit dem Berliner Autor und Linguisten Bernd-Jürgen Fischer hat sich nun ein Seiteneinsteiger an das Projekt einer kompletten Neuübersetzung gemacht. Eine herkulische Aufgabe, nicht nur wegen des puren Umfangs: der unerhörte Nuancenreichtum dieser Prosa mit ihren unterschiedlichen Tonfällen, Figurenreden, Beschreibungen und den für Proust so typischen Satzkaskaden verlangen nach Lösungen, die die Möglichkeiten des Deutschen bis an die Grenzen ausreizen. Anlässlich der Veröffentlichung des fünften Bandes der »Suche nach der verlorenen Zeit« (»Die Gefangene«, Reclam, 2016) war Fischer im LCB zu gast und sprach mit Andreas Platthaus über sein Projekt. Ein Hörtipp aus unserem Archiv zu Prousts 150. Geburtstag.
Anhand von Momentaufnahmen aus seiner Kindheit und Jugend schildert Harry Mulisch im Roman »Selbstportrait mit Turban« seine Entwicklung bis zu dem Tag, an dem er sich entscheidet, Schriftsteller zu werden. Das Buch erschien schon 1961, wurde aber erst 1995 ins Deutsche übersetzt. Im Studio LCB las Mulisch aus seinem Frühwerk und sprach mit Andreas Burnier und Dirk Schümer über das Desinteresse für niederländische Literatur in Deutschland vor den 90er Jahren, über ödipale Elemente des Romans, sowie über seine eigene Eitelkeit.
Friederike Mayröcker war eine der einzigartigsten Stimmen der deutschsprachigen Literatur. Für ihre Gedichte, Prosa und Bühnentexte wurde sie mit Georg-Trakl-Preis, dem Hölderlin-Preis, dem Lasker-Schüler-Preis und dem Büchner-Preis auzegzeichnet; ihr jüngstes Prosaband »da ich morgens und moosgrün. Ans Fenster trete« (Suhrkamp, 2020) stand auf der Shortlist für den Preis der Leipziger Buchmesse.
Im alter von 96 Jahren hat uns die “Grande Dame der experimentellen Literatur” (FAZ) verlassen. Als Nachruf holen wir eine ihrer Lesungen aus userem Archiv heraus: 1989 las Mayröcker im Deutschen Literaturarchiv Marbach aus ihrem Roman »mein Herz mein Zimmer mein Name« (Suhrkamp, 1988) und gab einen Querschnitt durch ihre Lyrik und Prosa.
Ada ist nicht eine, sondern viele Frauen: ihre Geschichte erstreckt sich über Jahrhunderte, und ihre Reise berührt die verschiedensten Lebenswelten: 1459 ist Ada Mutter im westafrikanischen Totope, 1848 wird sie in London Computer-Pionierin, 1945 zur Prostituierten in einem KZ, und 2019 ist sie eine junge Schwangere auf dem Berliner Wohnungsmarkt. Sie alle sind Ada, eine Ada in stetiger Verwandlung begriffen. In einer bildreichen Sprache und mit erzählerischer Kraft, Empathie und mit Humor zeichnet Sharon Dodua Otoo in ihrem Debütroman »Adas Raum« (S. Fischer, 2021) ein überraschendes Bild davon, was es bedeutet, eine Frau zu sein – und lädt uns ein, Perspektiven und Erfahrungen neu zu denken und zu bewerten. Eine Veranstaltung aus dem Literaturhaus Stuttgart.
Als Thomas Kling 2005 im Alter von 47 Jahren starb, hatte er mit einer Reihe von Gedichtbänden einen neuen Sound in die deutsche Lyrik gebracht. Sein Interesse an historischen, prähistorischen und sprachhistorischen Themen und Gegenständen inspiriert die nachfolgenden Dichtergenerationen bis heute. Das bekannte, zu Lebzeiten erschienene Kling’sche Textkorpus an Gedichten und Essays wird in der neuen vierbändigen Werkausgabe um 850 Seiten erweitert. Inwieweit diese Ausgabe den Blick auf Kling und sein Werk verändert, darüber sprach Katharina Teutsch mit dem Herausgeber Marcel Beyer, mit der Dichterin Marion Poschmann und dem Kritiker und Kling-Freund Tobias Lehmkuhl.
Mit »The Island of Eternal Life« antwortet Yoko Tawada auf die Katastrophen von Tōhoku und Fukushima im Jahr 2011. In ihrem fiktiven postkatastrophalen Japan, das in der Dunkelheit versunken ist, sucht eine Gruppe von Ärzten nach Glühwürmchen zur Abendbeleuchtung, während lichtdurchlässige Frauen die Waisenkinder der Katastrophe trösten. Beim Internationalen Literaturfestival Berlin 2017 las Tawada aus ihrem Buch unterhielt sich mit Lilo Berg über die gesellschaftlichen Folgen des atomaren Unfalls.
Anne Lister (1791-1840) war Großgrundbesitzerin, Reisende und Industrielle. Vor allem aber verbrachte sie ihre Tage damit, von Frauen zu träumen, ihnen nachzustellen und sie zu verführen: „Ohne Frau an meiner Seite kann ich nicht glücklich sein.“ Ihre einzigartige Lebensgeschichte erzählt Angela Steidele in »Anne Lister. Eine erotische Biographie« (Matthes & Seitz Berlin, 2017), dem ersten Teil ihrer Trilogie zu biographischem Schreiben. Mit Tom Zille unterhielt sich die Autorin über Listers Tagebücher und die Entstehung des Biographie.
Marion Poschmanns Naturpoesie rückt ab von der romantischen Idee einer unmittelbaren Korrespondenz zwischen Naturphänomen und Dichtung und lotet stattdessen das Sehen der Dinge selbst aus. Subtil und zärtlich unternimmt sie in ihrem Gedichtband »Nimbus« (Suhrkamp, 2020) den Versuch, Nähe und Ferne zusammenzudenken. Im Literaturhaus Stuttgart begibt sich Poschmann zusammen mit der Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken und dem Literaturkritiker Michael Braun auf eine Expedition durch die Gefühlsräume der Sehnsucht.
Der Titel von Chimamanda Ngozi Adichies international hochgelobtem Roman gibt die in Nigeria übliche Bezeichnung für Rückkehrer aus den USA wieder: »Americanah« (S. Fischer, 2014). Darin erzählt die Autorin von der Liebe zwischen Ifemelu und Obinze, die im Nigeria der neunziger Jahre ihren Lauf nimmt, bis sich ihre Wege trennen und sie auf zwei verschiedenen Kontinenten landen. »Americanah« ist aber nicht nur eine fesselnde Liebesgeschichte, sondern auch ein eindringlicher und hochpolitischer Roman über Identität und Rassismus. Beim Internationalen Literaturfestival Berlin 2019 sprach Ngozi Adichie mit Zara Rahman über die Kunst des Schreibens: von ihrem modernen Klassiker bis zu ihren feministischen Essays.
2001 wurde Judith Hermann aufgrund einer Abstimmung unter niederländischen Studenten zu einer kleinen Lesetournee durch die Niederlande eingeladen. Im Goethe-Institut Amsterdam las sie die erzählung »Hunter-Tompson-Musik«, reflektierte über den großen Erfolg von »Sommerhaus, später« (1998, S. Fischer) und beantwortete Fragen aus dem Publikum. Die Lesung und das Gespräch sind aufgenommen worden und gehören zur Tonkasettensammlung des GI Amsterdam im Katalog des Deutschen Literaturarchivs Marbach.
In der Reihe »Zwiesprachen« des Lyrik Kabinetts München führen lebende deutschsprachige Lyriker·innen Gespräche mit Autor·innen, die für ihr eigenes Schaffen bedeutsam sind, denen sie eine poetische Reverenz erweisen, mit denen sie sich im stillen Dialog befinden, oder denen sie einfach eine entscheidende Leseerfahrung, ein prägendes ästhetisches Erlebnis verdanken. In dieser Ausgabe stellt der Georg-Büchner-Preisträger Jan Wagner den Lyriker Ted Huges vor — »einen der eigenwilligsten und einflussreichsten Dichter der englischen Sprache des letzten Jahrhunderts.«
Industrieschnee markiert die Grenzen des Orts, eine feine Säure liegt in der Luft, und hinter der Werksbrücke rauschen die Fertigungshallen, wo der Vater tagein, tagaus Aluminiumbleche beizt. Hier ist die Ich-Erzählerin des Romans »Streulicht« (Suhrkamp, 2020) von Deniz Ohde aufgewachsen. Und hierher kommt sie zurück, als ihre Kindheitsfreunde heiraten. Während sie die alten Wege geht, wird sie mit den Erinnerungen an ihre Familie konfrontiert…
Mit Leo Röcker unterhielt sich die Autorin über die autobiographischen Elemente im Roman, über ihre Herkunft, ihren Bildungsweg und ihr mangelndes Zugehörigkeitsgefühl. Eine Lesung der Reihe zwischen/miete aus dem Literaturhaus Stuttgart.
„Try for a moment to see childhood as the golden age in life, imagine that the time when we are children is the time when we are most complete, most perfected. Imagine that childhood is the flower and not the seed. And everything that comes after is just time that breaks us down, ruins what was once perfect. If we try to think a bit like this, then we’ll learn how to better value playing […]. And we will lean that children shall not read in order to become something.” — so Frida Nilsson in ihrer Eröffnungsrede beim Internationalen Literaturfestival Berlin 2018. Mit Philip Geisler unterhielt sich Nilsson über ihre eigene Kindheit und die Kraft der Geschichten, über Angst und Gefahr, sowie über Familie und Freundschaft. Sie las aus ihrem Buch »Siri und die Eismeerpiraten« (Gerstenberg Verlag, 2017) und beantwortete zum Schluss die Fragen der Kinder aus dem Publikum.
Unser erster Hörtipp im neuen Jahr ist ein historisches Fundstück: Ein Jahr nach dem Tod Hubert Fichtes richteten das LCB und der Akademische Verein Hütte einen Abend zum Werk des Schriftstellers und Ethnologen, der als Vorläufer moderner Disziplinen wie Queer Studies und postkolonialen Theorien gilt. Über Fichtes Verhältnis zur Literaturvilla am Wannsee, den Werkplan zur Herausgabe seines Nachlasses sowie über die Unvollständigkeit seines Werks und die Verantwortung der Herausgeber diskutierten Walter Höllerer, Gisela Lindemann, Leonore Mau und Torsten Teichert mit Wolfgang Rath.
Wie sind Figuren wie Kater Mikesch, Urmel, Jim Knopf oder die Blechbüchsenarmee entstanden? Warum waren sie so bedeutsam für die Kinder der alten Bundesrepublik? Was für eine Rolle spielen Märchen in der Verarbeitung von Mythen der Nazizeit? Als letzten Hörtipp vor Weihnachten präsentieren wir eine Folge von Studio LCB mit Thomas Hettche, Eva Menasse und Julia Voss, die sich mit Maike Albath über Hettches Roman »Herzfaden« (Kiepenheuer & Witsch, 2020) und die Geschichte der Augsburger Puppenkiste unterhielten
Zum 10-jährigen Jubiläum der einzigartigen POETRY IN MOTION Clubnacht am Lyrik Kabinett München werden auf dichterlesen.net 25 der besten Performances aus zehn Jahren gesammelt als Playlist präsentiert. Ergänzend moderiert der Begründer und Kurator der Reihe Ko Bylanzky mit Meike Harms und Frank Klötgen zwei exklusiv für dichterlesen.net aufgenommene Originalstücke: Rückblick und Ausblick als Online-Erstrelease. Mit freundlicher Unterstützung von »Neustart Literatur« des Deutschen Literaturfonds.
Die „Dichterin der Rückkehr“ (H. G. Gadamer) Hilde Domin feierte 2004 ihren 95. Geburtstag. Im DLA Marbach las sie Gedichte und Prosa aus ihrem Lebenswerk vor, das seinen Anfang in den fünfziger Jahren, gegen Ende ihres Exils in der Dominikanischen Republik, nahm. Diese Erfahrungen von Exil und Rückkehr spiegeln sich in Domins Texten wider — nachdem alles sich als verlierbar erweist, findet die Autorin das “letzte, unabnehmbare Zuhause” in ihrer Sprache.
Celans vielfältig vernetzter lyrischer Kosmos bietet in einzigartiger Weise eine die europäischen Kulturräume von Ost und West umgreifende, durch die biographischen Erfahrungen gesättigte Auseinandersetzung verschiedener literarischer, kultureller und historischer Traditionen. Zum 100. Geburtstag des Dichters organisierten Prof. Markus May und PD Dr. Erik Schilling (Institut für deutsche Philologie der LMU München) im Lyrik Kabinett München eine Tagung über die räumlichen Aspekte des Werks Celans. Die Aufzeichnungen aller Vorträge haben wir in unser Tonarchiv Dichterlesen.net aufgenommen.
In seinem politischen Tagebuch »Der innere Stammtisch« (Rowohlt, 2020) möchte Ijoma Mangold sich selbst beobachten, „um den Zusammenhang zwischen Reflexen, Emotionen, Affekten, weltanschaulichen Überzeugungen und politischen Urteilen genauer zu begreifen.“ Über sein neues Buch, den liberalen Skeptizismus und den Einfluss der eigenen Biographie auf den politischen Standpunkt unterhielt sich Mangold mit dem Autor und Bundesvorsitzenden der Grünen Robert Habeck.
Seit den 1950er Jahren entwickeln Frauen in der türkischen Lyrik starke, eigen- und widerständige Stimmen. Dilek Mayatürk schließt an diese Tradition an und folgt einer zeitgenössischen jungen Poetik der Türkei, die weiß, wogegen sie sich wendet und welche Angriffsfläche sie bietet. Ihre Gedichte verarbeiten Trennung, Verlust und das aktuelle politische Geschehen, indem sie wichtige Topoi der türkischen Lyrik in individuelle, ausdrucksstarke Bilder verwandeln. Im September las Mayatürk im Literaturhaus Stuttgart aus ihrer Gedichtsammlung »Brache« (Hanser Berlin, 2020) — mit einer Einführung des Übersetzers des Bandes, Achim Wagner.
Wie haben Autorinnen und Autoren aus dem Ausland, die um 1989 in Berlin lebten, diese Umbruchzeit erfahren? Mit welchen Herausforderungen sahen sie sich konfrontiert? Welche kreativen Impulse fanden Eingang in ihre Berlin-Texte? Wie sehen sie die Stadt heute? Über diese und weitere Fragen diskutierten Esther Andradi, Carmen-Francesca Banciu, Wilfried N’Sondé, Bora Ćosić,György Dalos und Pascale Hugues; mit Vorträgen von Sonja Arnold, Martin Jankowski und Wolfgang Kubin. Eine Veranstaltung im Rahmen des Forschungsprojekts »Writing Berlin« der Freien Universität Berlin.
Wie eine Zeitkapsel erreicht uns Alexander Kluges »Russland-Kontainer« (Suhrkamp, 2020). Dieser Kontainer aber enthält keine Waren, er enthält jenen ungeheuren Raum, den wir als ›Russland‹ kennen. Kluge reaktiviert die alten Erzählformen, um den Verformungen unserer Gegenwart durch die Vergangenheit nachzuspüren. Mit Kathrin Röggla und Stephan Schlak diskutiert der Autor über Russland, sein utopisches Potenzial und über Literatur als poetische Utopie. Ein Abend über das Quietschen der Scharniere.
Am 22. Oktober hat uns Guntram Vesper verlassen: Als Nachruf weisen wir auf eine Ausgabe des Studio LCB aus dem Jahr 2004 hin, in der Vesper zusammen mit Erich Hackl zu gast war. Die beiden Schriftsteller erzählen, wie es zur gegenseitigen Beeinflussung und Wertschätzung kam, obwohl beide ein Altersunterschied von beinahe fünfzehn Jahre trennt. Mit Maike Albath unterhalten Sie sich über die Wege und Methoden ihrer schriftstellerischen Arbeit und um die Frage, inwiefern der Rückgriff auf die eigene Biographie und die Geschichte für den Autor von Bedeutung ist. Im Anschluss an die Gespräche lesen sie aus ihren damals noch unveröffentlichten Texten.
Neben Ruth Klüger trauern wir auch um Günter de Bruyn, der bereits am 4. Oktober in Bad Saarow verstorben ist. Eine »Zwischenbilanz« (S. Fischer, 1992) seines Lebens in zwei deutschen Diktaturen stellte de Bruyn 1992 im Studio LCB vor. Es geht im Gespräch auch um die Möglichkeit einer Literarisierung der eigenen Biographie und gibt einen interessanten Einblick in die Debatten vor der Entstehung der Autofiktionalität.
Ruth Klüger, “eine der letzten großen Zeitzeuginnen des 20 Jahrhunderts” (Die Zeit), ist am 07. Oktober 2020 verstorben. Sie überlebte den Holocaust, wanderte in die USA aus, lehrte deutschsprachige Literatur in Princeton, an der University of California in Irvine und in Göttingen. Ihr Leben lang kämpfte sie für ein aktives Gedächtnis and die Shoah, sowie gegen einen männlichen Blick auf die (Literatur)Geschichte.
Vor knapp 16 Jahren las Klüger im Deutschen Literaturarchiv Marbach aus ihrer Autobiographie »weiter leben« (Wallstein, 1992) die in fragmentierter Wahrnehmung eines Kindes das Verhängnis einfängt, was es bedeutete, jüdisch in einem deutsch beherrschten Gebiet zu sein.
In Georgi Gospodinovs Erzählband »8 Minuten und 19 Sekunden« (Droschl, Ü: Alexander Sitzmann) begegnen wir hinterwäldlerischen Dorfbewohnern auf dem südlichen Balkan, einem Kind, das nacheinander verschiedene Väter adoptiert, einem Autor, der ganz Lissabon nach einer unbekannten Schönen absucht. Einige Geschichten werfen Blicke in die kommunistische Vergangenheit des Landes und andere in die Zukunft der Menschheit. Mit diesen kurzweiligen und vergnüglichen Apokalypsen beschenkt der ›Meister der Verschlingung von Kunst und Leben‹ seine Leser·innen abermals mit Witz, Trost und Mitgefühl. 2016 war der Autor im Literaturhaus Basel zu Gast und unterhielt sich mit Martina Baleva.
Frisch aus dem Archiv #68: Seit Christa Wolf 1961 mit der »Moskauer Novelle« debütierte, ist kein Jahrzehnt vergangen, das nicht von ihren Erzählungen, Romanen, Essays und Tagebuchaufzeichnungen entscheidende Impulse und Denkanstöße empfangen hätte. Bücher wie »Der geteilte Himmel« (1963), »Nachdenken über Christa T.« (1968), »Kindheitsmuster« (1976), »Kassandra« (1983), »Medea: Stimmen« (1996) und »Ein Tag im Jahr« (2003) haben Generationen von Leser·innen geprägt. Im Rahmen der Reihe »Das Werk« las die Autorin eigene Texte, die zentral für ihr Denken und Schreiben waren. Über das Wesen des Schreibens, warum sie in der DDR geblieben ist und ob Literatur heute noch friedensstiftend kann, unterhielt sich Wolf mit Jörg Magenau, dessen 2002 erschienene Christa-Wolf-Biographie Maßstäbe gesetzt hat.
In der Reihe »Zwiesprachen« des Lyrik Kabinetts München führen lebende deutschsprachige Lyriker·innen Gespräche mit Autor·innen, die für ihr eigenes Schaffen bedeutsam sind, denen sie eine poetische Reverenz erweisen, mit denen sie sich im stillen Dialog befinden, oder denen sie einfach eine entscheidende Leseerfahrung, ein prägendes ästhetisches Erlebnis verdanken. In dieser Ausgabe stellt Max Czollek den jiddischen Dichter Hisch Glik (1922-1944) vor: »Glik ist Verfasser eines der bekanntesten Partisanenlieder des Zweiten Weltkrieges. Mit seinem Werk erschließt sich ein weitgehend verschüttetes Archiv wehrhafter Poesie – das uns auch wichtige Anstöße für Fragen und Probleme unserer gesellschaftlichen und literarischen Gegenwart liefern kann.«
Czolleks Zwiesprache erschien im Verlag Das Wunderhorn (»Zog nit keyn mol, az du geyst dem letstn veg.« Zu einem Archiv wehrhafter Poesie bei Hirsch Glik) und ist als Podcast auf dichterlesen.net zu hören.
Bei Luchterhand erschien im Frühjahr 2012 »Lieben«, der zweite Band des Mammutprojekts »Min Kamp« von Karl Ove Knausgård, in dem der 1968 geborene Schriftsteller sein eigenes Leben offen, schonungslos und radikal zum Thema seines Schreibens macht. Über den literarischen Kosmos des eigenen gelebten Lebens und die fließenden Übergänge zwischen Authentizität und Fiktion unterhielt sich der Übersetzer und Literaturkritiker Peter Urban-Halle mit dem Autor.
Mario Vargas Llosa erzählt in seinem Roman »El paraíso en la otra esquina« (»Das Paradies ist anderswo«, Suhrkamp, 2004) über zwei utopische Reisebewegungen: von Flora Tristan, der bahnbrechenden Frauen- und Arbeiterrechtlerin, die mit ihrem bewegten Leben für die Hoffnung einsteht, die Menschheit von Unrecht und Unterdrückung zu befreien und ihrem Enkel Paul Gaugin, der die Entfremdung der Kunst vom Leben durch den Traum von schöpferischer Ursprünglichkeit zu überwinden hofft. 2004 war der Autor zu Gast in der Deutschen Bibliothek Frankfurt zu Gast, las aus seinem Roman und betonte im anschließenden Publikumsgespräch die Politik als materia prima des Romans, sprach über das teils notwendige Scheitern der Utopien und gab Einblicke in seine eigene Schreibpraxis.
Seit 1946, als erste ihrer Gedichte in der Wiener Avantgarde-Zeitschrift »Plan« erschienen, veröffentlicht Friederike Mayröcker Lyrik, Prosa, Kinderbücher, Hörspiele und Theaterstücke. Zeichnungen von ihrer Hand wurden in Wien, Berlin, Graz und Italien ausgestellt. Für ihr Werk wurde sie vielfach ausgezeichnet, u. a. 2001 mit dem Georg-Büchner-Preis. Im August 2006 erschien eine Sammlung ihrer Liebesgedichte, herausgegeben von Ulla Berkéwicz. Kurz danach war die österreichische Autorin im Lyrik Kabinett München zu Gast und las aus Ihren Gedichten. Mit einer Einführung von Frieder von Ammon.
Mehr denn je entsteht in Berlin bedeutende, in anderen als der deutschen Sprache geschriebene Literatur. Die Erben von Nabokov, Zwetajewa und Isherwood sind präsent wie nie, prägen das literarische Profil dieser Stadt. 2019 wurden Nora Amin, Dmitri Dragilew, Elnathan John, Ivana Sajko, Ron Segal und Donna Stonecipher mit dem Jahresstipendium des Berliner Senats ausgezeichnet. Im LCB unterhielten sich die Stipendiat·innen über ihre Berlinerfahrungen, Berlin-Mythen, und ihre Verbindungen zur deutschsprachigen Berliner Literaturszenen. Sie lasen auch aus ihren works in progress – im Original, aber auch in deutscher Übersetzung.
Nuruddin Farahs »Im Norden der Dämmerung« (Verlag Antje Kunstmann, 2020) ist ein Roman über Familie, Politik und Gewalt: Seit Jahrzehnten leben Gacalo und Mugdi in Oslo, wo sie ein ruhiges und weitgehend assimiliertes Leben geführt und ihre zwei Kinder großgezogen haben. Doch nachdem ihr geliebter Sohn Dhaqaneh sich den Dschihadisten in Somalia angeschlossen hat und bei einem Selbstmordattentat ums Leben gekommen ist, gerät ihre Welt aus den Fugen. Nuruddin Farah, einer der bedeutendsten Schriftsteller Afrikas, sprach im Literaturhaus Stuttgart mit Ilija Trojanow über Rechtsextremismus, Terror und Flucht, aber auch über die literarische Sensibilität für den Umgang mit traumatischen Erfahrungen und über die Auswege aus der Gewalt.
Seit der Industriellen Revolution, das meint der Begriff Antropozän, ist die Erde so sehr vom Menschen geprägt, dass man von einem eigenen Erdzeitalter sprechen kann, ja vielleicht muss. Ausgehend von einer Ausstellung im Deutschen Museum in München haben die Dichterinnen Anja Bayer und Daniela Seel eine großartige und umfangreiche Anthologie mit Gedichten aus den letzten Jahren zusammengestellt, die sich mit Naturwissenschaften, Technik, mit dem Klimawandel und Rohstoffen, kurz mit der vom Menschen gemachten Umwelt beschäftigen. 2017 lasen und diskutierten die beiden Herausgeberinnen mit den in der Anthologie »All dies hier, Majestät, ist Deins. Lyrik im Anthropozän« (kookbooks) vertretenen Autorinnen Karin Fellner, Orsolya Kalász, Anja Utler und Daniel Falb.
Die Eltern des Haupthelden Carl streifen nur zwei Tage nach dem 9. November 1989 ihr altes Leben ab und verlassen Deutschland, um einem lang gehegten Geheimnis auf die Spur zu kommen. Carl schlingert durch das Nachwende-Berlin und gehört schon bald zu einer Gruppe, die das undefinierte Terrain des Ostens auf ihre Weise zu beherrschen versucht. Lutz Seiler legt mit »Stern 111« (Suhrkamp Verlag) seinen zweiten Roman vor. Über die deutsch-deutschen Umbrüche diskutierte der Autor im Studio LCB mit der Schriftstellerin Judith Schalansky und dem Literaturkritiker und Feuilletonredakteur der FAZ, Jan Wiele.
Hanya Yanagiharas Roman »Ein wenig Leben« (Hanser, 2017) handelt von der Jahrzehnte währenden Freundschaft zwischen vier Männern. Einst Zimmerkameraden am College sind sie nach dem Studium nach New York gezogen, um dort ihre beruflichen Karrieren zu beginnen. Die charismatische Figur im Zentrum des Buches aber ist der brillante und enigmatische Jude St. Francis, von dessen Leben seine Freunde so gut wie nichts wissen – weder davon, wo er herkommt, noch von seiner sexuellen Identität oder von der Geschichte seiner körperlichen Versehrtheit und Schmerzen. Über den Einfluss von Trauma auf die Sprache, New York City und die Rolle der Kunst im Roman sprach Yanagihara mit Andreas Platthaus im Literaturhaus Stuttgart.
Was bedeutet es heute, in Polen, Bosnien oder Russland ein queeres Leben zu führen? Wo und wie gestaltet sich dieses Leben im Spannungsfeld von Internet und Zensur? Wie hat sich Kunst, die sich mit queeren Themen beschäftigt, in den Ländern Mittel- und Osteuropas in den letzten Jahren entwickelt? Und wenn autoritäre Macht andere Lebensformen an den Rand der Gesellschaft drängen will: Haben Kunst und Literatur dann eine besondere Verantwortung und Aufgabe? Über den Zusammenhang von Literatur und Aktivismus, über Zensur und Gesten des Widerstands diskutierten Zsófia Bán, Jacek Dehnel, Uladzislaŭ Ivanoŭ, Davit Gabunia, Ebru Celkan, Johannes Kram, Marie Feryna und Karol Radziszewski im Rahmen des Queer*East Festivals.
Am 30. September 1969, knapp sieben Monate vor seinem Tod, reiste Paul Celan zum ersten Mal nach Israel. Obwohl er diese Reise frühzeitig abbrach, kam er in der folgenden Zeit immer wieder mit großem Enthusiasmus auf seinen Aufenthalt zu sprechen. Celans Reise nach Israel war Begegnung mit der zerstörten Bukowiner Vergangenheit und zugleich Besuch einer so von ihm wahrgenommenen Selbst- und Erneutsetzung jüdischen Lebens mit eigener Sprache an seinem ältesten Ort. Während seines Aufenthalts las er am 9. Oktober im Beit Agron in Jerusalem. Obschon eine späte Lesung, gewichtet Celan seine frühen Veröffentlichungen wesentlich stärker, ganz als wolle er sie noch einmal an neuem Ort erproben. »Ein gutes Lesen, ein gutes Zuhören dort« sei es gewesen, schreibt Celan in einer kurzen Notiz an Ilana Shmueli.
»Jedes seiner Bücher ist ein Ereignis für sich.« So Durs Grünbein 2016 in seiner Laudatio zur Verleihung des Horst-Bienek-Preises an Aleš Šteger. Šteger, geboren 1973 in Ptuj (damals Jugoslawien), ist einer der bekanntesten Autoren Sloweniens. Er hat sechs Gedichtbände veröffentlicht, arbeitet als Lektor bei einem Verlag in Ljubljana, zudem immer wieder als Festivalkurator und übersetzt aus dem Spanischen und dem Deutschen. Štegers Band »Über dem Himmel unter der Erde« (Hanser, 2019) fasziniert durch Witz und Formbewusstsein, Farbigkeit und Präzision. Gemeinsam mit seinem Freund und Übersetzer Matthias Göritz lässt er erleben, wie klug Lyrik sein kann, wie klar und zugleich geheimnisvoll. Eine Lesung aus dem Lyrik Kabinett München in Zusammenarbeit mit dem Münchner Stiftungsfrühling.
Bora Ćosić erinnert sich in seinem Buch »Eine kurze Kindheit in Agram« (Schöffling & Co., 2011) an seine prägenden Jahre in Zagreb. Er versetzt sich mit einer schwebend reflektierenden Sprache in die Denkweise eines Kleinkindes, um staunend die Rätsel des Lebens zu enthüllen. Seine präzise, eigenwillige und philosophische Erinnerungen erinnern an Benjamins »Berliner Kindheit um 1900«; es ist ein Buch über das Wahrnehmen geworden, über das Erinnern und Vergessen, über die Gedanken- und Phantasiewelt des Kindes, das er einmal war. Kurz nach seinem 80. Geburtstag war Ćosić im LCB zu Gast und sprach mit Jörg Plath über sein Leben und Werk.
Die Audio-Sammlung des Suhrkamp Verlags gehört seit der Erwerbung des Verlagsarchivs 2009 zu den Beständen des Deutschen Literaturarchivs Marbach — darunter auch diese Kompilation von O-Tönen und Lesungen Bertolt Brechts. Neben Aufnahmen von Gesprächen und Reden, von Interpretationen seiner Lieder und von den Inszenierungsarbeiten am »Kaukasischen Kreidekreis« (1955) und »Leben des Galilei« (1955/56) mit dem Ensemble des Theaters am Schiffbauerdamm, enthält diese Tonkassette auch Auszüge aus Brechts Verhör vor dem House Committee on Un-American Activities in Washington 1948.
In den Jahren 1945-49 wurden 80.000 Rumäniendeutsche von den Sowjets als Zwangsarbeiter in die Industrieregion Donbas verschleppt. Im kommunistischen Rumänien wurde über die Deportationen nicht gesprochen. Oskar Pastior, der in einem sowjetischen Arbeitslager inhaftiert war, und Herta Müller, deren Familiengeschichte ebenfalls von den Deportationen überschattet wurde, fuhren gemeinsam an die historischen Orte, sprachen mit den heute dort lebenden Menschen, tauchten ein in die Landschaft der Ukraine. In gemeinsamer Sprach-Arbeit entstand die subjektive Rekonstruktion einer Biographie, die 2009 unter dem Titel »Atemschaukel« (Carl Hanser Verlag) erschien. Einige Monate vor seinem Tod im Oktober 2006 war Pastior mit Herta Müller zu Gast im LCB, wo sie mit Helmut Böttiger über ihr literarisches Projekt sprachen.
»Homegoing« (»Heimkehren«, Dumont Verlag, 2017) heißt der Debütroman der in Ghana geborenen und in den USA aufgewachsenen Autorin Yaa Gyasi. Erzählt wird die Geschichte zweier Schwestern, Effia und Esi. Im Ghana des 18. Jahrhunderts heiratet Effia einen Engländer, der im Sklavenhandel zu Reichtum und Macht gelangt. Esi dagegen wird als Sklavin nach Amerika verkauft. Während Effias Nachkommen über Jahrhunderte Opfer oder Profiteure des Sklavenhandels werden, kämpfen Esis Kinder und Kindeskinder ums Überleben: von den Plantagen der Südstaaten bis zu den Jazzclubs Harlems. Anna Jäger, Kuratorin bei Savvy Contemporary, sprach mit Yaa Gyasi über das Vermächtnis von Sklaverei und Kolonialismus in den USA und in Ghana, über die Vererbbarkeit von Traumata und über ihre Herausforderungen während des Schreibprozesses.
Seit dem Jahr 2000 erscheint in der Kölner parasitenpresse eine Reihe mit deutschsprachiger Lyrik. Die kleinen, handgefertigten Büchlein sind oftmals die ersten eigenständigen Publikationen von jüngeren Autor·innen. Das erklärte Ziel der Herausgeber Wassiliki Knithaki und Adrian Kasnitz ist es, in dieser Reihe einen Querschnitt an zeitgenössischer, junger Poesie abzubilden. 2007 präsentierte sich die Parasitenpresse im Lyrik Kabinett München mit einer Lesung von Karin Fellner, Adrian Kasnitz und Achim Wagner.
Alain Robbe-Grillets Roman »Der wiederkehrende Spiegel« (Suhrkamp, 1986) thematisiert das apokalyptisch gesellschaftliche Chaos des Kriegsendes. Im Gespräch mit Wolfgang Trautwein versucht der Autor, den Krieg aus Verschiedenen Perspektiven zu beleuchten und spricht über das Verhältnis des französischen Gesellschaft zur Regierung von Vichy und über die Nähe des französischen Kleinbürgertums zur Rechten. Eine Veranstaltung aus der Reihe »Berlin auf den zweiten Blick – Wiedereinladung internationaler Autoren«
Sasha Marianna Salzmanns Romandebüt »Außer sich« (Suhrkamp, 2018) folgt der Protagonistin Alissa auf ihrem Weg von Moskau in die westdeutsche Provinz, nach Berlin und weiter nach Istanbul. Auf der Suche nach ihrem verschwundenen Zwillingsbruder Anton entdeckt Alissa die unterschiedlichen Puzzleteile ihrer Familiengeschichte. Lann Hornscheidts Buch »Zu Lieben« (Verlag w_orten & meer, 2018) hingegen ist ein Doppelband, der das Thema Lieben sowohl politisch-aktivistisch als auch analytisch beleuchtet. Salzmann und Hornscheidt sprachen in der Rotunde am Wannsee über ihre Bücher und über Lieben als politisches Handeln zwischen Kapitalismus, Postkolonialismus und Feminismus.
Im Rahmen der Ausstellung »Kassiber. Verbotenes Schreiben« im Marbacher Literaturmuseum der Moderne stellte das PEN-Zentrum Deutschland mit seinen Writers-in-Prison- und Writers-in-Exile-Programmen acht Schriftsteller·innen aus der Geschichte des PEN vor, die entweder inhaftiert oder ins Exil gezwungen wurden.
Khalil Rostamkhani, der Autoren wie Isabel Allende und Valdimir Nabokov ins Persische übersetzt hat, wurde im Gefängnis selbst zum Dichter. Die drei Teile der Lesung Rostamkhanis verarbeiten und dokumentieren in drei unterschiedlichen Gattungen die Erfahrungen und Wahrnehmungen des Autors während seiner Gefangenschaft. Im Gespräch mit Julia Paganini und Sascha Feuchert spricht der Autor über Fatwa gegen Salman Rushdie und über die politische Situation im Iran, die dortigen politisch-theologischen Repressionen und die Grenzen, die dem westlichen Eingreifen notwendig gesetzt werden müssen. Anschließend liest er aus seiner Gedichtsammlung »Poetry Behind Bars«.
Während die diesjährigen Tage der deutschsprachigen Literatur zumindest digital laufen, kommt hier nochmal die Ingeborg Bachmann-Preisträgerin des Jahres 1988 zu Wort. Angela Krauß, 1950 in Chemnitz geboren, studierte am Literaturinstitut „Johannes R. Becher“ und sprach 1990 mit Claus-Ulrich Bielefeld über ihre Erzählungen (»Dienst-Jahre«, Aufbau 1991) und den Roman »Der Dienst« (Suhrkamp, 1990).
Es ist etwas Unheimliches um diese vier Menschen, die in der Nachkriegszeit auf so unterschiedliche Weise zu Prominenz gelangten: Ingeborg Bachmann, Uwe Johnson, Ulrike Meinhof, Jean Améry. Was verbindet diese Intellektuellen, die ihr Leben nicht aushalten konnten? Diesen Fragen ging Matthias Bormuth in seinem Buch »Die Verunglückten« (Berenberg, 2019) nach. Im Februar diesen Jahres kam er im Literaturhaus Stuttgart mit Heinrich Berenberg, dem Verleger des Berenberg Verlags, ins Gespräch über den Kontext dieser vier sehr unterschiedlichen Suizid-Biographien.
„Von homosexuellen Autoren, von homosexueller Literatur sprechen, setzt voraus, daß es heterosexuellen literarischen Stil gibt, heterosexuelle Kriteria. Kann es die Aufgabe der Literaturkritik sein, biologistische Kriterien zu kanonisieren, die von den Biologen jede Saison ausgewechselt werden?“ Das schrieb Hubert Fichte 1982 in »Die Geschichte der Empfindlichkeit. Homosexualität und Literatur I«. Und die queere Gegenwart? Im Juli 2016 haben Autor·innen aus unterschiedlichen Staaten und Kulturräumen für das Festival »Empfindlichkeiten« mit kurzen Statements zu politischen und ästhetischen Realitäten Position bezogen. Mit Ahmet Sami Özbudak (Istanbul), Angela Steidele (Köln), Hilary McCollum (Donegal), Thomas Meinecke (Eurasburg) und Robert Gillett (London).
#PrideMonth2020
Auf einer Reise durch Südafrika hoffen Vinz und Alexander, die Krise in ihrer Beziehung überwinden zu können. Doch die Fahrt durch das fremde Land, in dem soziale Ungleichheit herrscht und Homosexualität von einem großen Teil der Bevölkerung noch immer tabuisiert wird, steigert ihre Unsicherheit. Als sie bei einem Unfall Unami, einen jungen Mann aus Simbabwe anfahren, geraten ihre Pläne durcheinander und sie beschließen, gemeinsam weiterzureisen. Im März 2019 las Gunther Geltinger zum ersten Mal aus seinem neuesten Roman »Benzin« (Suhrkamp, 2019) und sprach mit Thorsten Dönges über die Zärtlichkeit und Brutalität seiner Figuren, seine Recherche in Südafrika und die Problematik des Alterns in der schwulen Community.
#PrideMonth2020
Die dritte Ausgabe des Projekts »PARATAXE – die internationalen Literaturszenen Berlins« aus 2018 widmete sich der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der afrikanischen Literaturen in und aus Berlin. Vorträge und Diskussionen über die afrodeutsche Geschichte, Kolonialismus, Übersetzungen afrikanischer Texte, Berlin als Ort der afrikanischen Diaspora und über digitale und analoge Orte der afrodeutschen Literatur findet ihr in unserem Online-Archiv, sowie die Aufzeichnung der mehrsprachigen multimedialen Feier der Worte und Klänge in der Spezialausgabe der Reihe »Poetry meets…« von Jùmọké Bọlanle Adéyanju. Mit Clementine Ewokolo Burnley, Michael Salu, Pepetual Mforbe und vielen anderen!
Ulrike Draesners Erzählungsband »Richtig liegen« (Luchterhand, 2011) versammelt 17 unberechenbare »Geschichten in Paaren«, die sich durch intellektuelle Brillanz ebenso wie durch erzählerische Meisterschaft auszeichnen. Im Mittelpunkt der 15 Erzählungen des Bandes »Goldfischgedächtnis« (Droschl, 2011) von Monique Schwitter stehen Begegnungen und Beziehungen, Abwesenheit und Verlust stehen. Über Form, Inhalt und literarische Verortung der Erzählungen sprach die Literaturkritikerin Katharina Teutsch mit den beiden Autorinnen.
»Eigentlich aber finden die wahren Kämpfe / zwischen dir und den Deinen statt«
China: ein Land, in dem sowohl alles unmöglich, als auch Ungeahntes möglich ist und vieles ganz anders, als es sich der Westen vorstellt. Xiao Xiao, Lyrikerin, Malerin und Publizistin, ist eine der wichtigsten weiblichen Stimmen im chinesischen Sprachraum. Zusammen mit dem Sinologen Wolfgang Kubin, dem Herausgeber der Anthologie »Der himmlische Platz vom irdischen Frieden: Neue politische Gedichte aus China« (Löcker, 2012) zeichnet sie ein poetisches Bild Chinas, das auch die innere Vielfalt des Landes spiegelt. Ein Podcast aus dem Lyrik Kabinett München im Rahmen des Literaturfestes München 2019.
Vergleicht man die Jahre 1989 und 1990, zeigt sich, dass sie in der kollektiven Erinnerung höchst unterschiedlich präsent sind. Die Meisten können sich das Jahr 1989 rasch ins Gedächtnis rufen. Die Ereignisse dieses Herbstes verdichteten sich auf wenige, hochdramatische Wochen. 1990 dagegen wirkt in der Erinnerung wie ein blinder Fleck. Das Gedächtnis, von den sich überschlagenden Ereignissen ebenso gefordert wie von unerfüllten Wünschen und nicht eingestandenen Kränkungen fasst ein solches Jahr nur schwer. Im Foto-Text-Buch »Das Jahr 1990 freilegen« (Spector Books, 2019) hat sich Jan Wenzel einer archäologischen Mammutaufgabe gestellt, all die verschiedenen Erinnerungs- und Gefühlsschichten freizulegen und zugleich die reiche Chronologie der Ereignisse dieses Jahres im Blick zu behalten.
Ein Gespräch des Autors mit Ute Mahler und Jörg Schieke, moderiert von Tobias Lehmkuhl.
Die Staatsschuldenkrise hat den griechischen Literaturbetrieb stark getroffen: Zahlreiche Verlage mussten schliessen, und die deutschsprachigen Verlage haben kaum aktuelle griechische Literatur im Programm. Drei Stipendiat·innen der Villa Concordia in Bamberg, zeigen, wie lebendig und vielfältig die Literaturszene ist. Nora Gomringer sprach 2017 im Literaturhaus Basel mit Ioanna Bourazopoulou, Lila Konomara und Christos Asteriou über ihre Texte und die aktuelle Situation in Griechenland.
Wohl am 11. August 1914, einem Dienstag, wurde einer der berühmtesten Romane der Moderne begonnen, ohne je abgeschlossen zu werden: Franz Kafkas »Prozess«. 2013 wurde das gesamte Manuskript im Literaturmuseum der Moderne ausgestellt. Zur Ausstellungseröffnung hielt der Schriftsteller Louis Begley einen Vortrag über den Umgang mit Kafkas literarischem Werk. Was genau lässt Kafkas oftmals groteske und unwirkliche Figuren, Räume und Situationen so glaubwürdig und damit letztlich alltäglich erscheinen?
Ist es mittlerweile gleichgültig, von welcher Liebe ein Roman, eine Erzählung, ein Gedicht berichtet? Wie verhält es sich in Zeiten vermeintlicher Gleichberechtigung mit künstlerischen Ausdrucksweisen und Formaten, die sich in einem spezifisch schwul-lesbischen Kontext entwickelt haben: Steckt noch immer emanzipatorisches Potential in ihnen? Ein Literarischer Salon der Antidiskriminierungsstelle des Bundes mit Traude Bührmann, Gunther Geltinger, Hans Pleschinski, Angela Steidele und Antje Rávic Strubel, moderiert von Daniel Schreiber.
Wie kommt es zum Niedergang einer blühenden Kultur? Wie zerstört religiöser Fundamentalismus eine vitale, von geistiger Vielfalt und Toleranz geprägte Epoche? Der Roman »Der Trost des Nachthimmels« (Suhrkamp, 2016) von Dževad Karahasan erzählt vom Mathematiker und Dichter Omar Chayyam und dem Verfall des Seldschukenreiches im 11. Jahrhundert, spricht aber zerstörerische Gewalten unserer Zeit an. Im Gespräch mit Maike Albath, Lothar Müller und Katharina Raabe diskutiert der neulich mit dem Goethe-Preis ausgezeichnete Autor über seine Erzählkunst, die Entstehung des Buches und seine Rezeption in Bosnien.
Ein Auszug aus Katja Lange-Müllers 1993 noch unveröffentlichtem Roman »Verfrühte Tierliebe« (Kiepenheuer & Witsch, 1995) löste eine lebhafte Diskussion über das komplizierte und beziehungsreiche Verhältnis zwischen Mensch und Tier aus, das nicht nur im Titel erscheint, sondern auch die Handlung des Romans bestimmt. Inwiefern tragen Individuen animalische Elemente in das soziale Leben hinein? Inwieweit ist ein solcher Vorgang unbewusst oder gesteuert, und wie werden die Romanfiguren dadurch geprägt? Ein Gespräch der Autorin mit Ulrich Janetzki, Monika Maron und Helge Malchow.
Olga Tokarczuks Roman »Die Jakobsbücher« (Kampa Verlag, 2019) ist ein metaphysischer wie lebenspraller Roman auf den Spuren einer der bedeutenden Figuren des 18. Jahrhunderts: Jakob Frank galt den einen als Weiser und Messias, den anderen als Scharlatan und Ketzer. Er war Anführer einer mystischen Bewegung, fest entschlossen, sein Volk, die Juden Osteuropas, für die Moderne zu öffnen. Tokarczuk zeichnet mit dem schillernden Porträt einer kontroversen Figur zugleich das Panorama einer krisenhaften Welt an der Schwelle zur Moderne. Eine Lesung mit der Autorin aus dem Literaturhaus Stuttgart.
Das Dichterleben von Erich Fried war immer von der literarischen Auseinandersetzung mit Politik geprägt. Seine kritischen Stellungnahmen zur Politik der Bundesrepublik und der Weltmächte sorgten immer wieder für Kontroversen. Die Diskussion mit Walter Höllerer aus dem Jahr 1986 ist leider nicht erhalten geblieben, aber die Kommentare Frieds zur Entstehung und Gestaltung der Texte, die er vorgelesen hat, gewähren einen Einblick in seinen Denk- und Schreibprozess.
In ihrem Roman »Das Ministerium des äußersten Glücks« (S. Fischer, 2017) führt uns Arundhati Roy auf eine Reise durch den indischen Subkontinent, über die Enge des alten Delhi und die schillernden Malls der neuen Metropole bis in die schneebedeckten Berge und Täler von Kaschmir, zu den Fragen von Krieg und Frieden. Die Autorin war im September 2017 im Literaturhaus Stuttgart zu Gast und sprach mit Sigrid Löffler über zeitgenössische Literatur aus Indien.
#31 | »In der dritten Minute der Morgenröte«: Ein Abend für Christian Saalberg | 2020
Nachdem er als jugendlicher Soldat die Schrecken des Zweiten Weltkrieges erlebte, führte Christian-Udo Rusche eine Doppelexistenz: Rechtsanwalt im bürgerlichen Leben, schützte er seine Tätigkeit als Lyriker mit dem Pseudonym Christian Saalberg – einer Allusion auf den Ort im Riesengebirge, wo er die glücklichstem Momente seiner Kindheit erlebte. Nach seinem Tod haben Mirko Bonné und Viola Rusche eine Auswahl aus dem 23 Bände umfassenden Werk kuratiert, die 2019 unter dem Titel »In der dritten Minute der Morgenröte« (Schöffling & Co.) erschien. Die Herausgeber·innen haben das Buch im Lyrik Kabinett München vorgstellt.
Warum reagiert Durs Grünbein auf Fragen, die die DDR betreffen, zurückhaltend? Wie hat er den gewaltigen Zuspruch der Feuilletons nach der Wende empfunden? Warum waren die Lyriker im Prenzlauer Berg “ästhetisch verfeindet”? Mit Helmut Lethen, Gustav Seibt und Hubert Winkels diskutierte der Georg-Büchner-Preisträger über sein poetisches Schaffen sowie die DDR und las aus dem Gedichtband »Nach den Satiren« (Suhrkamp, 1999) vor.
Eigentlich ist Küssen ja ein Alltagsgeschäft. Und dennoch sind wir davon überzeugt, das Leben nach dem Kuss sei ein besseres als zuvor. Daran hat auch die Literatur ihren Anteil, denn in zahllosen Geschichten nimmt das Schicksal nach dem entscheidenden Kuss einen neuen Lauf. In seinem Buch »Sieben Küsse« (Hanser, 2017) hat Peter von Matt bedeutungsvolle Küsse der Literaturgeschichte ausgewählt sowie kenntnisreich und elegant interpretiert. Im Literaturhaus Basel sprach der Autor mit Katrin Eckert über die Konzeption des Buches und über das Handwerk des Interpretierens.
Der Gedichtband »Bodenlos« (DVA) von Sarah Kirsch erschien 1996 und deutete einen Tonwechsel in ihrer Lyrik an. Im selben Jahr wurde die Autorin mit dem Büchner-Preis ausgezeichnet. Über diese Ehrung sowie über den neuen Ton ihrer Texte und die Produktionsbedingungen in der DDR sprach Kirsch mit Hajo Steinert, C. W. Aigner und Frauke Meyer-Gosau. Der Podcast ist auch Teil des Hörraums »Literatur der Mauerrisse«.
„Wie kann ich mir in etwas, das ich schreibe, wirklicher vorkommen als in meinem Körper? Wie kann ich mich einem anderen Menschen näher fühlen, wenn ich seine Worte lese, als wenn ich neben ihm sitze?“ – heißt es im Eingangsessay von Jonathan Franzens »Das Ende vom Ende der Welt« (Rowohlt, 2019). Mit Wieland Freund diskutierte der preisgekrönte Romancier über die persönliche Substanz in literarischen Texten, über die Bedeutung und Form des Essays und über die Rolle von Vögeln für sein Schreiben.
Wir schrieben das Jahr 1959: Günter Eich ist gerade mit dem Büchner-Preis ausgezeichnet worden und Uwe Johnson hat seinen ersten Roman veröffentlicht. Zwei der wichtigsten Suhrkamp-Autoren der folgenden Jahrzehnte waren im Verlagshaus zu Gast und lasen aus ihren Texten — mit einer Einführung von Siegfried Unseld, in seiner eigentümlichen Manier.
»Telluria«, Vladimir Sorokins als opus magnum gefeierter Roman entfacht in fünfzig Kapiteln ein Feuerwerk der Genres und Stile, vom Märchenton bis zu orientalischer Poesie bis zur Live-Reportage, von Marco Polo bis Viktor Pelewin. Acht Übersetzer·innen haben der deutschen Fassung (Kiepenheuer & Witsch, 2015) eine vielstimmige Gestalt gegeben. Zur Premiere haben der Autor und seine Übersetzer·innen vom Kollektiv Hammer und Nagel dem Publikum mit einer exklusiven Performance Zugang zum Buch verschafft.
Frisch aus dem Archiv #24: Zeitschleifen und russische Raketen über Freibädern, paranoide Teenager, Checkpoints und abgelegene Hotels. Drogentrips, Kinoproduktionen für Diktatoren und Exilanten in WG-Zimmern: In Rasha Abbas‘ Erzählungsband »Eine Zusammenfassung von allem, was war« (mikrotext, 2018) flackern die Bilder ihrer alten und neuen Heimat grell auf. Mit Katy Derbishire unterhielt sich die Autorin über die Entstehung ihrer Erzählungen und über Humor in der arabischen Sprache.
Frisch aus dem Archiv #23: Unser heutiger Hör-Tipp ist ein Rückblick auf die sommerliche Veranstaltungsreihe Romane in der Rotunde — vor zwei Jahren las Daniel Kehlmann am Ufer des Wannsees aus seinem Roman »Tyll« (Rowohlt, 2017). Literaturwissenschaftlerin Ulrike Vedder führte ein Gespräch mit dem Autor über die Eulenspiegel-Anekdoten, den Dreißigjährigen Krieg und die historischen und fiktiven Figuren in seinen Texten. Kommen Sie, hören Sie, staunen Sie!
Nachdem er 2011 eine Zeit vorübergehender Erblindung erlebte, stellte sich für Teju Cole die Frage des Sehens neu, und er begann mit der Arbeit an seinem fotografisch-essayistischen Projekt »Blinder Fleck« (Hanser Berlin, 2018). Die Bilder dieses Bandes sind Dokumente von Jahren des Unterwegsseins: Mehr als 150 Fotografien und Texte verbinden sich zu einem lyrischen visuellen Essay, den der Autor im Literaturhaus Stuttgart beim Gespräch mit Gesa Schneider vorgestellt hat.
Wütend und komisch zugleich sind Ernst Jandls Verse aus dem Gedichtband »idyllen« (Luchterhand), im Laufe der 1980er Jahre entstanden und 1989 veröffentlicht. Unbändige Sprachlust und Freude am Experimentieren mit Worten und Lauten haben in diesem Lyrikband einen melancholischen Unterton. Jandl Poesie wirft auch hier einen kritischen Blick auf die Welt — und auf die eigenen Erinnerungen.
Der Roman »Tauben fliegen auf« (Jung und Jung, 2010) von Melinda Nadj Abonji wurde 2010 sowohl mit dem Deutschen als auch mit dem Schweizer Buchpreis ausgezeichnet. In der Geschichte von einer Ungarischen Familie aus dem Norden Serbiens, die in der Schweiz ein Zuhause findet, sich aber nicht heimisch fühlt, entsteht ein vielschichtiges Bild des gegenwärtigen Europa. Im Literaturhaus Basel unterhielt sich die Autorin mit Hans Ulrich Probst über die autobiografischen Aspekte des Buches, über das Leben in zwei Kulturen und über die Kehrseite der direkten Demokratie.
Das Lyrik Kabinett München feierte 2015 den neunzigsten Geburtstag von Eugen Gomringer, dem bolivianisch-schweizerischen Lyriker, Herausgeber, Verleger, Organisatoren und Dozenten, der als “Vater der konreten Poesie” bezeichnet wird. Vor seiner Lesung erwiesen ihm der Literaturwissenschafter Holger Pils und Autor Michael Lentz die Ehre.
Zwei der bedeutendsten Autor·innen der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur, Friederike Mayröcker und Ernst Jandl, waren vor knapp 25 Jahren zusammen am Wannsee zu Gast. Mit Hajo Steinert, Klaus Kastberger und Walter Höllerer unterhielten sie sich über die Avantgarde der 50er und 60er Jahre, über das Übersetzen von konkreter Poesie und über ihre Zusammenarbeit beim Schreiben. Im Fokus standen aber ihre Texte — die auch nach Jahren nichts an Frische und Relevanz verloren haben.
2009 war die schottische Autorin, Filmemacherin und Stand-up-Comedian A. L. Kennedy zum ersten Mal im LCB zu Gast. Der Anlass war die Veröffentlichung ihres Erzählbandes “Was wird” (aus dem Englischen von Ingo Herzke, Wagenbach Verlag, 2009, ). Mit dem Übersetzer Bernhard Robben unterhielt sich die Autorin über ihren Stil und ihr Literaturverständnis, sowie über das Komische und die literarischen Formen der Imagination.
1965 erschien beim Suhrkamp Verlag die Sprechplatte »Nelly Sachs liest Gedichte« mit 51 Aufnahmen der von 1940 bis 1963 entstandenen Texten der Autorin. Zu den Beständen des Deutschen Literaturarchivs Marbach gehören aber auch die Aufnahmen von Gedichten, die nicht auf die Platte gepresst worden sind. Diese Aufnahmereste gibt es im Online-Tonarchiv dichterlesen.net zum Nachhören.
In dieser Lesung aus 2009 begegnen sich zwei Autor·innen, die sich der Herausforderung gestellt haben, die Stimmen der Toten zu sammeln und die Zeugnisse und Gräber zum Sprechen zu bringen. Über die Entstehung ihrer Romane »Shanghai fern von wo« (Kiepenheuer & Witsch, 2009) und »Halbschatten« (Jung und Jung, 2008), über das Verhältnis von deutschem Bürgertum und Militär und über die metaphysischen Aspekte des Todes unterhielten sich Ursula Krechel und Uwe Timm mit Tobias Lehmkuhl.
Einer der großen Romane der Weltliteratur, Balzacs »Verlorene Illusionen«, glänzt in Melanie Walz‘ neuer Übersetzung noch ein wenig prächtiger als zuvor. Die Übersetzerin hat sich zusammen mit dem Kritiker Andreas Isenschmid und dem Stanford-Komparatisten Hans Ulrich Gumbrecht über das historische Profil und die philologischen Finessen Balzacs unterhalten.
Die Veranstaltung mit der Psychoanalytikerin Margarete Mitscherlich und der Schriftstellerin Brigitte Burmeister war als Lesung angekündigt, entwickelte sich jedoch in eine ganz andere Richtung. An jenem Abend im Oktober 1991 wurde gar nicht gelesen, sondern ausschließlich debattiert: über Christa Wolf, den Zusammenbruch des Sozialismus und den Sieg des Kapitalismus. Das Gespräch und die Publikumsbeiträge geben spannende Einblicke in die Atmosphäre der Nachwendezeit.
Was für ein Debüt! »Tram 83« des kongolesischen Schriftstellers Fiston Mwanza Mujila wurde international gefeiert. Der Roman über den einzigen Nachtclub einer pulsierenden afrikanischen Großstadt fasziniert durch seinen Stoff, seine vielstimmige Komposition, vor allem aber durch den Rhythmus und Drive seiner Sprache. In diesem Hörtipp erleben Sie Fiston Mwanza Mujila als Interviewer seiner Übersetzerinnen Katharina Meyer und Lena Müller und als Performer im Zusammenspiel mit dem Berliner Saxofonisten Ben Kraef.
In den Versen von Wulf Kirsten hat das deutschsprachige Naturgedicht unserer Tage eine seiner selbständigsten und eigentümlichsten Gestaltungen gefunden. Kirsten gehörte nie zu den Wald- und Wieseneskapisten, trotzdem spielt die ihn umgebende üppigreiche Natur seit jeher eine Rolle in seinen Gedichten. Im Frühjahr 1996 war er im Lyrik Kabinett München zu Gast.
Obwohl er sie gar nicht mochte, hat Max Frisch unzählige Interviews gegeben – schließlich war er der Inbegriff eines Schriftstellers, der sich einmischt und gehört wird, und ein Meister der Konversation. Ihn aus der Fassung zu bringen, das gelang nur einem Journalisten: »Wie Sie mir auf den Leib rücken!«, wehrte sich Max Frisch 1981 gegen die Fragerei von Fritz Raddatz. Thomas Strässle, der dieses Interview zusammen mit dreizehn weiteren in einem Sammelband veröffentlicht hat, spricht mit der Literaturkritikerin Beatrice von Matt über den Schriftsteller.
Eine der ganz großen Schriftstellerinnen, Ilse Aichinger, spricht leise, betont uneitel über ihre Lebensstationen: die schrecklichen Erfahrungen des Antisemistismus‘ während des Dritten Reiches und die gesellschaftliche Not nach 1945, aber auch über die Art und Weise ihres Schreibens und Denkens. Der Moderator Richard Reichensperger ist in dem Falle der adäquate Gesprächspartner, denn durch seine Bewunderung entsteht die Atmosphäre, die der medienscheuen Aichinger behagt.
Mehr Pynchon geht nicht. Ein Abend im Literaturhaus Stuttgart mit Friedrich Kittler, einem der originellsten deutschen Denker der Gegenwart und Pynchon-Kenner, & mit Pynchon-Übersetzer Nikolaus Stingl, der vorab einige Passagen von Thomas Pynchons Roman »Against the day« ins Deutsche übertragen hatte.
Eine weitere spannende Kontroverse entspann sich in diesem Studio LCB mit Wolfgang Hilbig, Karl Corino, Peter Geist, Thomas Böhme und Hajo Steinert: Anlässlich der Frage nach der literarischen Bedeutung der Szene im Prenzlauer Berg wird Sascha Anderson als zentrale Figur immer wieder erwähnt. Karl Corino hält die Szene für generell „überschätzt“ und wirft den Untergrund-Autor·innen Epigonentum, „intellektuellen Verrat“ und geistige „Zuchtlosigkeit“ vor, eine Einschätzung, der vom Moderator und den anderen Gästen entschieden widersprochen wird …
Im Studio LCB vom 28. August 2019 las Terézia Mora aus ihrem Roman »Auf dem Seil« (Luchterhand Literaturverlag) und diskutierte mit der Schriftstellerin Katja Lange-Müller und dem Schriftsteller, Schauspieler und Hörspielautor Andreas Jungwirth über den Abschluss ihrer Trilogie. Welche Entwicklung hat sie ihrem berühmten Protagonisten Darius Kopp zugedacht – und warum?
In seinem Vortrag breitet Pierre Bertaux am 22. November 1979 seine bis heute umstrittene These aus, dass Hölderlin entgegen der landläufigen Meinung nicht geisteskrank gewesen sei. Es handelt sich dabei um Tonband 36 der Sammlung »Hoser’s Buchhandlung«. Sie umfasst 85 Tonbänder (1976 bis 1988) von Autor·innenlesungen, die dem Deutschen Literaturarchiv Marbach gestiftet wurden. Aus zwei aktuellen Anlässen (#Hölderlin2020 #CoronaUmnachtung) empfehlen wir: Nerven behalten und dichterlesen.net hören!
In ihren Romanen rechnet Shumona Sinha mit dem französischen Asylsystem ab (»Erschlagt die Armen!«), erzählt von drei Frauen, die einer unbarmherzigen männlichen Ordnung gegenüberstehen (»Staatenlos«) und von einer verlorenen Kindheit in Indien zwischen Familien- und der politischer Geschichte (»Kalkutta«, alle Edition Nautilus): Shumona Sinha war 2017 Stipendiatin im LCB. Am 8. Juni in diesem Jahr sprach sie mit ihrer Übersetzerin Lena Müller und Moderatorin Aurélie Maurin über ihre Texte. Spannende Themen und Protagonistinnen, empfehlenswerte Texte, kurz: sehr hörenswerte 1,5 Stunden.
Zugegeben: Lange nicht mehr wurde in einem Studio LCB 114 Minuten lang so schön gestritten wie in diesem. Martin Walser wirft der Presse u. a. vor, soziale Wirklichkeiten nach ihren Vorstellungen zurechtbiegen. Jurek Becker – auf der anderen Seite des Tisches – hält Walsers Ansichten zur deutschen Einheit angesichts rassistischer und chauvinistischer Tendenzen für schönfärberisch und unkritisch. Bei dieser Entdeckung aus dem LCB-Veranstaltungs-Fundus sind außerdem Hajo Steinert und Volker Hage dabei.
Brigitte Kronauer stellt mit einem überwältigten Tillman Rammstedt ihr Buch »Gewäsch und Gewimmel« vor. Zum Teil im Plauderton, zum Teil wie in Kalendergeschichten wird über den Tod und das Leben, über die Liebe und ihre Flüchtigkeit räsoniert; mittels Kurz- und Kürzestgeschichten werden den Leser·innen eine große Zahl von Figuren präsentiert.
Legendär: Thomas Kling diskutiert mit Hajo Steinert und Hubert Winkels am 23. Juni 1992 die Rezeption seiner Lyrik und Performance. Moderation: Hajo Steinert. Gesprächspartner: Hubert Winkels.