Barbara Ivusic: »Hevelyn Farm«
Hevelyn Farm
Auszug
Aus dem Englischen von Patricia Hempel
Evelyn nimmt einmal in der Woche Methotrexat, normalerweise an einem Dienstag. In diesen Nächten verträgt sie nichts, und die Kinder und ich stopfen uns mit unseren Tiefkühlkostfavoriten von Aldi voll, bis wir uns fast übergeben müssen. Dienstagabende sind träge und sie ist träge, wie jemand, der kurz vor dem Sterben steht. Allerdings ist sie nicht bereit zu sterben, was ihr Körper jedoch nicht weiß. Die Ärzte sagen, dass er sich langsam selbst angreift. Er verwechselt sie mit jemand Fremdem. Er ist verwirrt. Evelyn sagt, dass das Trexi die unter ihrer Haut verdrehten Knochen wieder aufdreht. Sie sagt auch, dass sie sich eines Tages in einen Krüppel verwandeln wird, in ein Monster mit Hakenfingern und aufgedunsenen Ellbogen; dass ihre Knie von mit Flüssigkeit gefüllten Ballons umgeben sein werden. Ich verstehe erst, was sie meint, als sie sich nackt auszieht, um mir die geschwollenen Stellen zu zeigen.
„Helen“. Sie drückt meinen Atlas wie einen Knopf und fordert mich auf, den Fernseher einzuschalten. Sie streicht mit den Fingerspitzen über mein Haar, verwebt die Strähnen mit ihren langen Nägeln ineinander und legt ihre Hände auf meine Brüste.
Es nervt mich, gestreichelt zu werden, während ich mir Werbespots ansehen muss, aber es ist der einzige Zeitvertreib, bevor die Wirkung ihrer morgendlichen Muntermacher einsetzt. Ein Werbespot läuft, in dem uns eine Frau erkärt, wie man Fenster mit einem Abzieher putzt. Sie steht vor ihrem nachgemachten kalifornischen Haus und sagt, sie habe die Lösung für streifenfreien Glanz. Palmen und ein Pool, in dem ein Labrador schwimmt, locken ein Lächeln auf Evelyns Gesicht. Sie greift nach meinem Oberschenkel und beginnt ihn zu massieren. Als ihre Hand an meinem Bein auf und ab wandert, drehe ich die Lautstärke hoch, um uns unter einer Klangwolke zu begraben, gerade als die Kinder anfangen, einen Ball gegen unsere Schlafzimmertür zu schießen. Evelyn starrt mich an und sagt, ich solle sie ignorieren, die Tür sei verschlossen. Dann lässt sie ihre Finger zwischen meine Beine gleiten.
Evelyns Schmerzen treiben ab und zu an die Oberfläche und bleiben so lange, wie sie sie aushalten kann. Sie sagt oft, dass ihr Körper ihr nicht mehr dient. Er hat ihre Bedürfnisse völlig vergessen. Sie sagt, ich sei genauso; nur ein weiteres Ding, das sich gegen sie gewendet hat.
[…]
Er tritt in einem wolkigen Ballon aus. Er ist totenstill, bis die Mutter den größten Teil der Nachgeburt verschlungen hat und die Nabelschnur selbst durchbeißt. Sie ist dabei sehr vorsichtig, entschlossen zu vergessen, dass sie Zähne besitzt. Ich lege den Welpen unter die Lampe in der Waschküche, die wir zum Wurfkeller umfunktioniert haben. Ich untersuche jeden Zentimeter seines Körpers, bis er fiept. Er ist gescheckt und stämmig mit Krallen, die wie Salzkörner aussehen. Evelyn stützt ihre Hand auf mein Knie, während wir im Schneidersitz auf dem Boden sitzen. Alles tut weh. Die Hündin steht auf, lässt den Welpen wie Regen von ihrer Zitze tropfen und wandert im Zimmer umher. Nach ein paar Augenblicken ist sie wieder auf ihrem Platz, hebt das Hinterbein und presst einen Ball aus sich heraus. Diesmal ist er überwiegend weiß, mit ein paar grauen Flecken auf dem Rücken. Ich drücke das Maul auf, um hineinzuschauen. Am Gaumen befindet sich ein Riss, ein Spalt. Evelyn kennt die Diagnose. Sie hat alles darüber in einem Zuchthandbuch gelesen. Sie verdreht seine Schnauze in die Form eines Lochs, durch das das Ende eines Bleistifts passt, und pustet Luft hinein. Der Welpe atmet oberflächlich ein und bleibt dann schlaff in ihrer Hand liegen, wie eine fette Ratte. Sie erklärt den Verlust formal, als sei sie eine Tierärztin mit jahrzehntelanger Erfahrung. Die Mutter steht auf und kratzt mit ihren Pfoten an unseren Knien. Sie winselt, damit wir das Junge zurückgeben. Sie bettelt. Evelyn wickelt es in ein Handtuch und trägt es aus dem Zimmer. Sie kommt mit einer Flasche billigen Schnaps und zerbrochenen Scherrygläsern zurück. Es ist 2 Uhr morgens.
Unsere Nacht verwandelt sich von einer Feier in eine Tortur, die bis zum Tagesanbruch andauert. Glücklicherweise gibt es keine weiteren Missbildungen, keine weiteren Tiere, die wir nicht zum Leben erwecken oder wieder herrichten können. Als ich die zähen Plazentas von den Decken gelöst habe, bricht die Sonne durch die Vorhänge. Ich passe auf, dass die Mutter ihren Wurf nicht zerdrückt, indem ich ihn über ihre Zitzen schichte. Dann mache ich mich auf die Suche nach dem toten Tier. Es liegt im Wintergarten auf einem Schuhregal. Ich höre den Wasserkocher in der Küche und gehe nach draußen, um ein Feuer in der bodenlosen Zinntonne zu entfachen. Evelyn beobachtet mich vom Fenster aus. Sie prostet mir mit einer Tasse zu, auf der ein Kürbis abgebildet ist, während ich den Welpen in einen Stapel Papier verpacke. Als die Flammen den Grund erreichen, riecht die Luft nach versenktem Haar.
Um die Mittagszeit benutze ich einen Stock, um die Glut von den Knochen zu trennen, doch der Kopf ist hartnäckig. Die Haut sitzt immer noch auf dem Schädel, wie Leder an einem Schuh. Ich werfe mehr Holz nach und zünde etwas Heu an, um die Sache zu beschleunigen. Es ist ein langsamer Prozess. So langsam, dass es mich zwingt, wegzugehen. Ich lege mich zum Schlafen auf die Couch, doch Evelyn stürmt mit einem Paket herein, in dem sich mehrere himmelblaue T-Shirts mit dem Bild eines Staffordshire Terriers stapeln. Für jeden von uns ist eine Größe dabei. Auf der Rückseite steht: Hevelyn Farm. Erschrocken weise ich sie auf den Schreibfehler im Wort heavenly hin, aber sie korrigiert mich. „Siehst du nicht, dass das unsere Namen zusammengeschrieben sind? Ich habe sie bestellt, bevor wir uns getrennt haben.“, sagt sie.
Am Abend machen wir uns in unseren neuen Uniformen auf den Weg zu Marco’s, um Schlachtabfälle und Knochen zu kaufen. Die Kinder dürfen zwischen einer Plastikpistole und einem Aufziehhubschrauber wählen. Sie entscheiden sich für die Pistole. Marco erzählt uns von einem Geschäft, das er in der Eureka Creek Road eröffnet hat. Evelyn ist begeistert von der Aussicht auf ein Schnäppchen, und wir rasen durch ein Feld voller Wallabys, bis wir eine Koppel erreichen, auf der sich mindestens ein Dutzend Pferde tummeln. Sie sind außergewöhnlich groß und drahtig. Das Schild, nach dem wir suchen, ist unübersehbar: Welpenhackfleisch 5$ für 8 Kilogramm. Ein Gebäude aus Betonblöcken kommt in Sicht, vor dem zwei Männer sitzen und Zigaretten rauchen. Evelyn kurbelt ihr Fenster herunter und fragt nach Rindfleisch. Die Männer sehen sich an und lachen. Wir sagen den Kindern, sie sollen sich im Auto einschließen, wenn wir hineingehen. Jacob zielt mit der Spielzeugpistole auf das Fensterglas und klopft zweimal gegen die Scheibe, als wolle er signalisieren, dass die Luft rein ist. Der Raum, den wir betreten, ist riesig, der Boden weiß und glitschig. Es riecht nach Desinfektionsmittel. Im hinteren Teil steht eine Kasse und wir hören nur das Geräusch unserer Schritte, als wir darauf zugehen. Eine Frau mit großen Vorderzähnen tritt durch das Rolltor an der Seite. Hinter ihrer stämmigen Gestalt rieche ich einen Anflug von Blut. Wir zahlen, bevor wir bekommen, was wir wollen. Sie führt uns durch einen anderen Bereich, in dem kopflose Tiere an Haken hängen. Ihre Häute sind abgezogen, um ihre Sehnen freizulegen. Evelyns Finger kringeln sich über ihrem Gesicht. Sie sagt kein Wort und ihre Augen sind so kalt wie der Raum, in dem wir stehen. Die Frau stellt den Fleischwolf an. Er wirbelt alles durcheinander, was vorher darin war, und spuckt einen Haufen Hack aus. Sie geht zu einem der Warentische und nimmt sich ein Stück Fleisch, bestätigt unsere gewünschte Kilogrammzahl und drückt zweimal auf den Schalter. In weniger als einer Minute liegt unser Schnäppchen vor uns, zerkleinert und versiegelt. Ein Mann rollt einen Wagen heran, und mein Blick bleibt an den Nüstern eines Pferdekopfes hängen, dessen Fell noch intakt ist. Seine Schnauze nickt bei jedem Stoß in meine Richtung.
Evelyn sagt, ich sei die Stärkere und solle den 20 Kilo schweren Sack zurück zum Auto bringen. Ich hebe ihn über meine Schulter und hieve ihn auf die Ladefläche des Pick-Ups, die inzwischen warm genug zum Kochen wäre. Als ich die Rückfahrzeit einschätze, überlege ich es mir doch anders, packe den Sack und räume ihn zwischen die Kinder auf den Rücksitz. Sie rufen ein paar Mal: „Ihh!“, aber beruhigen sich wieder, sobald der Motor startet. Wir kriechen über eine unsichere Holzbrücke zurück zur Hauptstraße. Evelyn hält das Auto an, um zu beobachten, wie einer der Männer von vorhin, eine Gruppe von Pferden hinter einen Schuppen führt. Rebecca fragt, ob sie auf einem reiten darf, aber Evelyn ignoriert ihre Frage und bläst Rauch aus dem Fenster.
[…]
Das Wort Liebe wird auf dem Hof immer noch in den Mund genommen. Die Liebe zu den Kindern, die Liebe füreinander, die Liebe zu den Hunden, aber wir sprechen nicht über die Dinge, die wichtig sind, die Dinge, die uns innerlich schwach machen. Evelyn hat jede Verantwortung abgegeben. Sie ist in ihrer Krankheit versunken, und ich hasse sie dafür. Sie sagt, sie brauche Zeit, um endgültig von den Medikamenten wegzukommen, und sitzt in ihrem Zimmer auf Kissen gestützt.
Der Geruch der Welpen und der Anblick von Spaghettiwürmern in ihrer Kacke ekeln mich an, also fälsche ich ihre Geburtsurkunden, damit ich sie früher verkaufen kann. Ich begrüße eine vierköpfige Familie am Tor. Sie haben zwei Mädchen, etwa in Rebeccas Alter. Ich habe meine Kinder in saubere, gebügelte Kleidung gesteckt und mein Make-up sorgfältig aufgetragen, damit ich ihre Mutter sein kann. Ich denke gerne, dass wir vertrauenswürdig und zuverlässig aussehen, wie Menschen, die sich aus Liebe fortpflanzen. Meine Kinder genießen die zwanzig Minuten, in denen sie mit den Zwillingen spielen können, während ich den Umschlag entgegennehme und über die Gesundheit des Welpen und seine Ernährungsbedürfnisse spreche. Ich werfe Wörter wie Bordetella bronchiseptica, Staupe, Parovirus und Zwingerhusten ein, damit sie, wenn sie wieder gehen, keinen Zweifel daran haben, eine richtige Entscheidung getroffen zu haben. Als sie losfahren, laufen Rebecca und Jacob neben dem Auto her und klopfen an die Scheibe. Das Auto hält ein letztes Mal an und die Kinder strecken ihre Köpfe heraus. Ich ertappe Rebecca dabei, wie sie unsere Adresse aufsagt, damit die Mädchen ihr schreiben können. Sie sitzen auf der Rückbank mit Bissspuren an den Händen und im Gesicht, während der Welpe von ihrem Schoß springt. „Sie wissen doch, wo wir wohnen“, sage ich zu Rebecca, aber sie besteht darauf. Ich sehe den Vater im Seitenspiegel, er beobachtet mich mit einer Eindringlichkeit, die er bei seiner Ankunft nicht hatte. Ich lächle, winke und bringe die Kinder zurück ins Haus. Ich höre den Fernseher in Evelyns Schlafzimmer. Sie schaut „Mord ist ihr Hobby“.
Barbara Ivusic is an editor and emerging author. She has a B.A. (HONS) in English Literature from the University of Sydney. Her work has appeared in international magazines such as Island, Stadtsprachen, Cheat River Review, Glitter and Tears in the Fence as well as anthologies such as »Resilience« (Ultimo Press, Sydney) and »Beyond Queer Words« (Berlin). She’s currently working on her first novel »Hevelyn Farm« and living in Berlin.