LCB
„Brücke Berlin“ Preis
Verleihung des Brücke Berlin Preises 2018

„Brücke Berlin“ Preis

20 Jahre lang, von 2002-2022, zeichnete der Brücke Berlin-Preis herausragende Autor·innen aus Mittel- und Osteuropa und ihre Übersetzer·innen ins Deutsche aus. Gestiftet wurde er von der BHF BANK Stiftung (der jetzigen ODDO BHF Stiftung), und in Zusammenarbeit mit dem Literarischen Colloquium Berlin und dem Deutschen Theater Berlin in zweijähriger Folge vergeben. Im Sinne der Stifter lenkte er „den Blick auf die gegenwärtige Literatur der Länder, deren Stimmen den Prozess der europäischen Einigung mitbestimmen werden“. Darüber hinaus würdigte der Preis die künstlerische und kulturvermittelnde Leistung literarischer Übersetzer·innen. Schirmherren des Preises waren Günter Grass (2002-2004), Péter Esterházy (2006-2016) und Herta Müller (2018-2022). Eine Fortsetzung ist nicht vorgesehen.

Ein Rückblick:

Preisträger·innen des Brücke Berlin Preises

2022 Radka Denemarková und Eva Profousová für „Stunden aus Blei“ (Hoffmann & Campe Verlag). Übersetzung aus dem Tschechischen.

»Stunden aus Blei« ist der so kühne wie geglückte Versuch, mit den Mitteln der Poesie und Autofiktion ein globales Bild unserer gewaltreichen Gegenwart zu entwerfen und dabei historische Verstrickungen aufzuzeigen – ohne die Verheißung wahrer Demokratie preiszugeben. Radka Denemarková erhebt selbst im repressiven China furchtlos die Stimme und führt sowohl mit ihrem literarischen Schaffen als auch mit ihrem politischen Engagement die Tradition des großen Václav Havel fort. Dafür erhält sie schon lange internationalen Zuspruch. Eva Profousová überträgt ihre vielschichtige Prosa mit lyrischen Anteilen und essayistischen Passagen präzise und findig in ein lebendiges, klingendes Deutsch und hält die Spannung von der ersten bis zur letzten Seite dieses in jeder Hinsicht gewichtigen Werks.

Eva Profousová und Radka Denemarková ©Tobias Bohm

 

2020 Maria Stepanova und Olga Radetzkaja für „Nach dem Gedächtnis“ (Suhrkamp Verlag). Übersetzung aus dem Russischen.

Maria Stepanovas „Nach dem Gedächtnis“ ist eine Spurensuche, ein „Metaroman“ der Recherche nach der weitverzweigten russisch-jüdischen Familie der Autorin. Er verbindet Reiseberichte und Erinnerungen, bringt Fundstücke aus der „Bibliothek einer anderen, visuellen Kultur“ zusammen mit theoretischen Versuchen über Trauma und Gedächtnis. Eine große essayistische Erzählung über ein Jahrhundert der Gewalt ist dabei entstanden, ein Spiegel der Zeit, der auf Dialog mit der Leserin, dem Leser von heute, einer Epoche „nach dem Gedächtnis“ angelegt ist. Die Berliner Übersetzerin Olga Radetzkaja war von Beginn an in das Werden des Buches einbezogen. Mit Bravour hat sie das reiche Repertoire an literarischen Tönen und Gangarten des Romans nachgebildet, den Gedankenströmen und Sätzen der Autorin Elastizität und Klang im Deutschen verliehen und damit das große Ganze in Schwingung versetzt.

Olga Radetzkaja und Maria Stepanova ©Tobias Bohm

 

2018 Zaza Burchuladze und Natia Mikeladse-Bachsoliani für „Touristenfrühstück“ (Blumenbar Verlag). Übersetzung aus dem Georgischen.

Zaza Burchuladzes Roman und Iva Brdars Theaterstück sind eindringliche Beschreibungen von Nomaden, die mit den Umbrüchen und Ungewissheiten im heutigen Europa konfrontiert sind. „Touristenfrühstück“ ist der im Berliner Exil geschriebene Roman eines Autors, der von den Dämonen, den Absurditäten, aber auch den glücklichen Gegenbildern seiner Vergangenheit in Tbilissi heimgesucht wird. Der mit schwarzem Humor durchtränkte Text zeigt eine Innenansicht des Exils als conditio humana. Natia Mikeladse-Barsoliani bringt in ihrer Übersetzung den pointenreichen Text in all seiner Lakonie zum Leuchten. Iva Brdar folgt in ihrem Theaterstück „Daumenregeln“ der Tramptour zweier junger Frauen ins südliche Osteuropa. In einer weitgehend menschenleeren Landschaft begegnen die Protagonistinnen ebenso skurrilen wie scharf umrissenen Figuren, die sich aus Bruchstücken einstiger Lebensentwürfe eine neue Existenz zusammen zimmern. So entsteht ein surreales Roadmovie; alle fahren mit, niemand weiß woher, niemand weiß wohin. Geschrieben ist das eindringliche Stück in vibrierenden Versen, von Alida Bremer in ein suggestives Deutsch übersetzt.

Zaza Burchuladze und Natia Mikeladse-Bachsoliani ©Tobias Bohm

 

2016 Szczepan Twardoch und Olaf Kühl für „Drach“ (Rowohlt Verlag). Übersetzung aus dem Polnischen.

Szczepan Twardoch, 1979 in Pilchowice geboren, lässt sich mit seinem fünften Buch auf ein kühnes Experiment ein: Er bringt die Erde selbst zum Sprechen, die schlesische Erde, die schon so viele Umwälzungen erfahren hat. Diese Erzählerin ist so allwissend wie gleichmütig, die Geschichte, die sich Sediment um Sediment in ihr abgelagert hat, ist für sie stets gegenwärtig, was diesem Roman eine atemberaubende Unmittelbarkeit verleiht. Hier wird mit großer sprachlicher Kraft ein ganzes Jahrhundert voller Konflikte und Gewalt porträtiert, werden alte Fragen nach Identität, nationaler Zugehörigkeit und sozialer Gerechtigkeit auf unerhörte Weise verhandelt. Die Prosa ist karg, aber sinnlich, in ihr klingt eine Fülle von Stimmen an, die im Lauf der Zeit aus dieser schlesischen Erde hervorgekommen und wieder in sie eingegangen sind. Dem Übersetzer Olaf Kühl ist das Bravourstück geglückt, die unterschiedlichen Sprachschichten so flüssig ins Deutsche zu übertragen, dass sie auch in der Übersetzung natürlich und lebendig wirken. Die Entscheidung, Wendungen im oberschlesischen Dialekt durch niederschlesische Ausdrücke wiederzugeben, rettet den Reichtum des Originals und gewährt deutschen Lesern zugleich einen mühelosen Zugang. Lakonie, Rhythmus und Bildkraft dieses außergewöhnlichen Werks werden ebenso bewahrt wie seine beträchtliche Wucht.

Olaf Kühl und Szczepan Twardoch ©Jürgen Jakob Becker

 

2014 Serhij Zhadan und Sabine Stöhr/Juri Durkot für „Die Erfindung des Jazz im Donbass“ (Suhrkamp Verlag). Übersetzung aus dem Ukrainischen.

Serhij Zhadan, 1974 im ostukrainischen Starobilsk geboren und in Charkiw aufgewachsen, entwirft in seinem dritten Roman ein fulminantes, poetisches road movie. Die Geschichte des Kiewer Werbeunternehmers Hermann, der die marode Tankstelle seines verschwundenen Bruders übernehmen muss, entfaltet sich in der „großen Leere diesseits von Stalingrad“, dem Donbass. Mit ihren skurrilen Episoden, Antihelden und Bildern von trauriger Schönheit bricht die Handlung immer wieder in eine andere Zeit – und Raumdimension vor: die de-industrialisierte Bergbaustadt Luhansk, das einstige Woroschilowgrad, die Steppenlandschaft, durch die Tataren und Zigeuner ziehen, das Fußballfeld, auf dem Hermann und seine Freunde gegen die Gasarbeiter antreten, und der Fluss, der Erinnerungen anspült. Zhadan erweckt dieses letzte, vergessene Territorium Europas aus dem Geist seiner Literatur zum Leben und setzt dabei die aktuellen politischen Konfliktlinien in neues Licht. Meisterlich die Leistung der Übersetzer Sabine Stöhr und Juri Durkot: für den dialogischen und oft rhythmischen Erzählton mit seiner Umgangssprache, seinem Sprachwitz und Humor haben sie ein deutsches Pendant gefunden, das nie seine Leichtigkeit verliert.

 

2012 Péter Nádas und Christina Viragh für „Parallelgeschichten“ (Rowohlt Verlag). Übersetzung aus dem Ungarischen.

Péter Nádas‘ Jahrhundertroman „Parallelgeschichten“ schildert mit nicht nachlassender emotionaler und intellektueller Intensität wie Empathie die Beziehungen zwischen Lebenden und Toten, Ereignissen und Menschen, Ideologien und Gefühlen im 20. Jahrhundert. Mutig, zupackend und gedanklich präzis vermittelt Christina Viraghs Übersetzung das Oszillieren dieser Prosa. Sie erlaubt es, einem Stimmenreichtum genießend wie denkend zu folgen, in dem sich Äußeres und Inneres, Physisches und Psychisches, Reales und Imaginäres ständig gegenseitig erhellen. Péter Nádas lässt den Roman, wie wir ihn kennen, hinter sich. Nie ist die Unterwerfung des Körpers und der Seele durch die Gewalt und die Ideologien des 20. Jahrhunderts so subtil, so überzeugend und so zartfühlend dargestellt worden.

 

2010 László Krasnahorkai und Heike Flemming für „Seiōbo auf Erden“ (S. Fischer). Übersetzung aus dem Ungarischen.

László Krasznahorkai hat mit dem Erzählband „Seiōbo auf Erden“ ein welten- und zeitenumspannendes Buch über die Vollkommenheit geschrieben, ein Buch über das Transzendente im Irdischen und die Sehnsucht des Menschen danach. Außergewöhnlich in Stoff und Form, handeln die Erzählungen von Kunstgegenständen und ihrer Restauration, von vergessenen Meisterwerken der venezianischen Malerei etwa, von einer buddhistischen Holzskulptur, von der Architektur eines Shinto-Schreins oder vom Entstehen einer No-Maske. Krasznahorkai gelingen sprachlich virtuose Annäherungen an die durch Kunst hervorgerufenen Momente, wenn ringsum alles stillzustehen beginnt und der Raum sich mit dem Atem des Erhabenen füllt. Mit großer Sachkenntnis und feinem stilistischen Gespür hat Heike Flemming diesen Texten eine Gestalt im Deutschen gegeben, deren Rhythmus und Melodie jenen Puls der Sprache erzeugen, der diesen Autor so besonders macht.

 

2008 Andrej Bitow und Rosemarie Tietze für „Das Puschkinhaus“ (Suhrkamp). Übersetzung aus dem Russischen.

Andrej Bitow, der 1937 in Leningrad geboren wurde, erzählt in „Das Puschkinhaus“ vom Leben in der Sowjetunion der 1950er und 1960er Jahre – und verwandelt im Dialog mit der großen russischen Literatur des 19. Jahrhunderts dieses Leben in eine Spukwelt der Illusionen und Intrigen, der stummen Drohungen und sprechenden Dinge. Der Roman, der die 50-Jahrfeier der Oktoberrevolution im Geist des Karnevals unterminiert und die Erinnerung an die Lager nicht ausspart, entstand in den Jahren 1964 bis 1971, konnte in der Sowjetunion aber erst 1989 erscheinen. Die im Suhrkamp Verlag erschienene Neuübersetzung von Rosemarie Tietze macht dem deutschen Publikum zum ersten Mal den vollständigen Text des Romans einschließlich aller nachgetragenen Selbstkommentare des Autors zugänglich. So unaufdringlich wie erhellend erschließt die Übersetzerin in ihren eigenen Kommentaren wie in ihrem Nachwort die Fülle zeithistorischer Details, mit denen der Roman sein ironisches Spiel treibt. Hier hat ein Klassiker der russischen Literatur des 20. Jahrhunderts die glanzvolle deutsche Fassung gefunden, die er verdient.

 

2006 David Albahari und Mirjana und Klaus Wittmann für „Mutterland“ (Eichborn Verlag). Übersetzung aus dem Serbischen.

In „Mutterland“ erzählt David Albahari vom Verschwinden seiner Herkunftswelt. Ein Ausgewanderter im kanadischen Exil stößt auf alte Tonbandaufzeichnungen seiner verstorbenen Mutter, und damit auf die Stimme des in den Kriegen des 20. Jahrhunderts geborenen und untergegangenen Jugoslawien. „In einer unerhört dichten Prosa, in der sich Präzision und Traumverlorenheit, Reflexion und physiognomisches Detail die Waage halten“, heißt es in der Begründung der Jury, „gibt Albahari der Erfahrung des Zerfalls eine kristalline Form. Sein Buch beglaubigt die einzige Utopie, die es enthält: daß die Sprache ein Ort des Widerstands gegen die Schrecken der Geschichte ist – wenn sie sich ihnen stellt. Mirjana und Klaus Wittmann ist es gelungen, die Sprachregister des Originals mit großer Sensibilität und Poesie ins Deutsche zu bringen“.

 

2004 László Darvasi und Heinrich Eisterer für „Die Legende von den Tränengauklern“ (Suhrkamp). Übersetzung aus dem Ungarischen.

László Darvasi entwirft in seinem Roman das barocke Panorama eines vom Krieg zerrissenen Mitteleuropa. Die aus der sogenannten „Türkenzeit“ Ungarns im 16. und 17. Jahrhundert genommenen Versatzstücke des Historischen, die von Gewalt und Verwüstungen, aber auch von Liebe und Menschlichkeit erzählen, machen dieses Buch zu einer zeitlosen Parabel, in der die Menschengeschichte als Naturgeschichte erscheint. Dem Übersetzer Heinrich Eisterer ist es gelungen, die Stimmenvielfalt des Romans zwischen derber Rede, lyrischem Ton und wissenschaftlicher Akribie in eine deutsche Sprache zu bringen, die den „alten Ton“ trifft, die Register modernen Erzählens kennt und die stilistischen Grenzgänge beherrscht.

 

2002 Olga Tokarczuk und Esther Kinsky für „Taghaus, Nachthaus“ (DVA). Übersetzung aus dem Polnischen.

Olga Tokarczuk arbeitet mit einem Begriff von Wirklichkeit, der romantische Mythen und Dorflegenden, Geträumtes und Erlebtes genauso wie die vergangene und gegenwärtige Geschichte literarisch auf eine Ebene bringt. „Taghaus, Nachthaus“ ist ein kunstvolles Romanmosaik, das eine Landschaft in der niederschlesischen Provinz zum Gegenbild der menschlichen Existenz und ihrer verschiedenen Dimensionen macht. Der Übersetzerin Esther Kinsky ist es gelungen, die unterschiedlichen Sprachebenen des Originals mit großer Sensibilität und Poesie ins Deutsche zu übertragen.

 

Preisträger·innen des Brücke Berlin Theaterpreises

2020 Zdrava Kamenova und Alexander Sitzmann für das Stück „Home for Sheep and Dreams“. Übersetzung aus dem Bulgarischen.

2018 Iva Brdar und Alida Bremer für „Daumenregeln“ (Rowohlt Theaterverlag). Übersetzung aus dem Serbischen.

 

Preisträger des Brücke Berlin Initiativpreises

2016 Brücke Berlin Initiativpreis Der Theaterverlag Henschel Schauspiel erhält den mit 5.000 Euro dotierten Brücke Berlin Initiativpreis für seine nachhaltigen und herausragenden Bemühungen um die Entdeckung und Übersetzung bedeutender Theaterwerke aus dem mittel- und osteuropäischen Raum,

2014 Brücke Berlin Initiativpreis für den Theaterintendanten und Regisseur Manfred Beilharz und den Schriftsteller Tankred Dorst für die von ihnen konzipierte Biennale „Neue Stücke aus Europa“.

Teilen

Kooperationspartner war die BHF BANK Stiftung, das Goethe-Institut, das Literarische Colloquium Berlin und das Deutsche Theater Berlin. Die BHF BANK Stiftung lenkte mit dem Brücke Berlin-Preis den Blick auf die gegenwärtige belletristische Literatur der Länder Mittel- und Osteuropas, deren Stimmen den kulturellen Austausch und den Prozess der weiteren europäischen Verständigung mitgestalten. Darüber hinaus sollte insbesondere die künstlerische Leistung der literarischen Übersetzer·innen, die einen wesentlichen Anteil an der bedeutenden Vermittlungsleistung haben, gewürdigt werden.

360