Zensur, die zeigt
Im Haus in Bern, in dem ich lebe, hängt das Plakat eines Holzschnitts von Emil Zbinden an der Wand. Es zeigt den angeklagten Kommunisten Georgi Dimitroff im Reichstagsbrandprozess von 1933. Hinter ihm stehen zwei Nazischergen. Das Gesicht des einen ist ein grinsender Totenschädel.
Der Schweizer Xylograph und Maler Emil Zbinden war ein Chronist der kleinen Leute. Selbst Kind einer mittellosen Berner Familie, zeichnete er Arbeitslose, Verdingkinder und Bergewerksleute. Er malte Gouachen von Hinterhöfen und schnitt Staudämme in Holz. Bekannt wurde er durch seine Illustrationen der Werke von Jeremias Gotthelf für die Büchergilde Gutenberg. Der 1908 geborene Zbinden war die Verkörperung eines engagierten linken Künstlers.
Vor einigen Wochen übermalten Unbekannte Teile eines denkmalgeschützten Wandbilds von Emil Zbinden in einem Berner Schulhaus. Der Künstler hatte es 1949 gemeinsam mit dem Arbeitermaler Eugen Jordi im Auftrag der Stadt gemalt. Die naive Freskomalerei zeigt ein Alphabet, das die Buchstabenfolge mit Tierbildern, Pflanzen und Artefakten, aber auch mit drei stereotyp dargestellten Menschen aus Afrika, Asien und Amerika bei den Buchstaben C, I und N illustriert. Ein weisser Mensch fehlt. Gegen diese Bildteile richtet sich der Protest mit schwarzer Farbe.
Zbinden und Jordis Bilder-ABC ist rassistisch und hierarchisch. Es reproduziert klischierte Darstellungen aus gängigen Kinderbüchern der Zeit. Den beiden Künstlern war die Welt der Arbeiter in den heimischen Baracken und auf den Baustellen näher als die Realitäten der Schwarzen oder der indigenen Bevölkerung Amerikas. Doch hätten sie, die 1949 international vernetzt waren und in Paris ausstellten, es nicht besser wissen müssen?
Es schmerzt mich, dass dem Antifaschisten Zbinden dieser Fehler unterlaufen ist. Die Blindheit dafür, wie die koloniale Vergangenheit unsere Gegenwart prägt, setzt sich bis heute fort.
Letztes Jahr hat die Stadt Bern einen künstlerischen Wettbewerb zum Umgang mit dem «implizit rassistischen» Wandbild im Schulhaus ausgeschrieben, um es «zeitgenössisch zu verorten und zu diskutieren». Die öffentliche Präsentation einer Auswahl von Vorschlägen soll diesen Herbst erfolgen. Im Bekennerschreiben nannte die unbekannte Täterschaft die Auseinandersetzung mit dem Bild «heuchlerisch», weil «historische Relikte und Denkmalschutz mehr gewertet» würden als «institutionelle und alltägliche Rassismen». Der Berner Gemeinderat verzichtete auf eine Strafanzeige, da er die «Ungeduld und Wut» nachvollziehen könne.
Die Kinder im Schulhaus hatten das Problem längst auf ihre eigene Weise gelöst: Jahrelang klebte über dem Bild für den Buchstaben N eine Zeichnung mit einem Nashorn. Lehrer und Schüler hatten sich auf der Treppe sitzend mit dem Bild und dem Thema Rassismus befasst. Diese Selbstermächtigung gefiel mir besser als die Zensur mit schwarzer Farbe, unter der die drei Sujets nun durchscheinen und zeigen, was sie verbergen wollten.
Revealing Censorship
In the house where I live in Bern, there is a poster of an Emil Zbinden woodcut on the wall. It shows accused Communist Georgi Dimitroff at the Reichstag fire trial of 1933. Behind him are two Nazi henchmen, one of them with a grinning skull for a face.
The Swiss woodcutter and painter Emil Zbinden chronicled the lives of ordinary people. Born himself (in 1908) to a destitute Bern family, he portrayed the unemployed, child labourers and miners. He painted gouaches of backyards and made woodcuts of dams. Zbinden became known for illustrating the rural realist works of Jeremias Gotthelf for Büchergilde Gutenberg. He was the epitome of a politically committed artist.
Some weeks ago, unidentified people painted over parts of a listed mural by Emil Zbinden in a Bern school building. The mural was commissioned by the city and executed by Zbinden and painter of the working classes Eugen Jordi in 1949. It is a naïve-style alphabet with pictures of animals, plants and artefacts, but also three stereotypically portrayed people from Asia, America and Africa illustrating the letters C, I and N. There is no white person. It was to these parts of the mural that the anonymous protesters objected—with black paint.
Zbinden and Jordi’s illustrated ABC is racist and hierarchical. It reproduces clichéd images from conventional children’s books of the time. Both artists were more familiar with the slums and building sites of Bern than with the lives of black people or Native Americans. But by 1949 they had international connections and exhibited their work in Paris. Shouldn’t they have known better?
It pains me that the anti-fascist Zbinden should have made such a mistake. Such blindness to the influence of the colonial past on our present continues to this day.
Last year, the City of Bern organised a competition inviting artists to suggest ways of dealing with the ‘implicitly racist’ school mural that would allow for ‘contemporary debate and discussion’. The shortlist is to be announced in the autumn. In their letter claiming responsibility, the unidentified perpetrators described this approach to the images as ‘hypocritical’ because it ‘gave more weight to historical relics and the protection of monuments than to institutional and everyday acts of racism’. Bern City Council waived criminal charges, saying that the ‘impatience and anger’ were understandable.
The children in the school had found their own solution to the problem some time ago: for years, the image that illustrated the letter N was covered with a drawing of a rhino (Nashorn in German), after teachers and pupils had sat on the stairs by the mural and talked about racism. Such self-empowerment seems to me preferable to black-paint censorship, which only lets the three images show through, revealing what it was supposed to hide.
Translation: Imogen Taylor
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Mit den Chören der Sing-Akademie zu Berlin, acht Bläsern, zwei Schlagzeugern, den arabisch-deutschen Literaturkollektiven »Unsichtbare Stadt / مدينة غير مرئية « und »Wiese! (Wie es ist) / مرج «, Hausgästen des LCB sowie den Autor·innen Jean-René Lassalle, Monika Rinck und Ulf Stolterfoht
Musikalische Leitung: Kai-Uwe Jirka, Manuel Nickert und Friederike Stahmer
Szenische Einrichtung: Christian Filips