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Zum 100. Geburtstag von Walter Höllerer

Vor 100 Jahren, am 19. Dezember 1922, wurde Walter Höllerer geboren. Als Kind hat er in einem Aufsatz einmal geschrieben, er wolle Zirkusdirektor werden. Auf eigene Weise hat er das auch geschafft: Seine Artisten waren Dichterinnen und Dichter, die Manege waren öffentliche Bühnen und Zeitschriften und die Artistik war die Literatur – nur die Dressur hätte er abgelehnt. Aber Walter Höllerer liebte das Machen, die Menschen und die Literatur.

Anlässlich seines Geburtstags sammeln wir hier Fundstücke in Ton, Bild, Text und Film sowie aktuelle Veranstaltungen und Ausstellungen.

 

über Walter Höllerer

Walter Höllerer war Wissenschaftler, Autor, Literaturimpresario, Kritiker, Entdecker, Herausgeber, Stifter und Anstifter. Dabei war er ein großer Mittler und Vermittler. Unzählige Autor∙innen und Wissenschaftler∙innen haben ihm viel zu verdanken. Ebenso wie seine Geburtsstadt Sulzbach-Rosenberg, wo er ein Literaturarchiv gründete und sein Lebensort Berlin. Dort tagte 1962 einmal die Gruppe 47 im Haus am Sandwerder 5. Ab 1963 zogen die Künste endgültig hier eingültig ein, als er 1963 das Literarische Colloquium gründete, das weit über Berlin hinaus strahlte.

Reinhard Lettau, Walter Höllerer, Tagung Gruppe 47, 1964

Walter Höllerer, Hans Mayer, 1964

Walter Höllerer, Hans Mayer, 1964

Walter Höllerer, Günter Grass, 1964

Walter Höllerer, Günter Grass, 1964

Veröffentlichungen

Neben der wissenschaftlichen Arbeit veröffentlichte er eigene Gedichte und Romane, verfasste Kritiken und Nachworte. Eine Auswahl früher Gedichte erschien auf Vermittlung Georg Brittings im Carl Hanser Verlag: 1952 veröffentlichte Höllerer dort seinen ersten Gedichtband »Der andere Gast« und 1960 mit Gregory Corso die Anthologie »Junge amerikanische Lyrik«. 1964 folgte im Suhrkamp Verlag »Gedichte. Wie entsteht ein Gedicht«. Der Band »Außerhalb der Saison. Hopfengärten in drei Gedichten und neunzehn Fotos« zusammen mit Renate von Mangoldt erschien 1967 im Wagenbach Verlag, 1969 folgte in den LCB-Editionen »Systeme. Neue Gedichte« und 1973 wiederum bei Suhrkamp der Roman »Die Elephantenuhr«.

Walter Höllerer, Andrej Wosnessenskij, 1976

Walter Höllerer, Andrej Wosnessenskij, 1976

Walter Höllerer, Renate von Mangoldt, 1967

Zeitschriften & Gedichte

Die von ihm begründeten Zeitschriften »Akzente« und »Sprache im technischen Zeitalter« bestehen bis heute.

Diese drei Gedichte bilden mit zahlreichen anderen das Zentrum der Jubiläumsausstellung in Sulzbach-Rosenberg „Ich sah ich hörte…“ – Walter Höllerers Lyrik und ihre Orte:

»Begrüßung von neuen Freunden«
»Gaspard«
»Der lag besonders mühelos«

Berühmt geworden sind die »Thesen zum langen Gedicht«, die Sie hier lesen können:

»Thesen zum langen Gedicht«

 

v.l.n.r. Antonio Alvaria, Gerald Bisinger, Oskar Pastior, Anna Jonas, Sarah Kirsch, Walter Höllerer, 1979

West-Berlin

Als er 1959, gerade 36 Jahre alt, als Germanistikprofessor an die Technische Universität in West-Berlin berufen wurde, rockte er das damals vor sich hindümpelnde literarische Leben West-Berlins. Im selben Jahr gründete er das »Institut für Sprache im technischen Zeitalter« – ein Statement für die Literatur als Medium des kritischen Transfers zwischen Wissenschaft, Kunst und Gesellschaft in einer immer stärker technisierten Erfahrungswelt. In Walter Höllerer hatte sie einen charismatischen Anwalt, der die öffentliche Bühne suchte.

Unter dem Titel »Literatur im technischen Zeitalter« startete er im Herbst 1960 eine Veranstaltungsreihe mit literarischen Größen. Sagenumwoben waren die Abende an der Technischen Universität und in der Kongresshalle, bei denen vor über tausend Zuhörerinnen und Zuhörern deutschsprachige und internationale Autorinnen und Autoren wie Nathalie Sarraute, John Dos Passos, Heimito von Doderer oder Ingeborg Bachmann lasen.

Edoardo Sanguineti, Walter Höllerer, November 1980

Edoardo Sanguineti, Walter Höllerer, 1980

Walter Höllerer, März 1983

Walter Höllerer, 1983

Heinz Otterson, Walter Höllerer, 1974

Heinz Otterson, Walter Höllerer, 1974

Die Veranstaltungen waren nicht nur ein gewaltiger Publikumserfolg, sondern auch ein bundesweites Fernsehereignis. Von der erstaunlichen Omnipräsenz des Literaturprofessors Höllerer auf den Fernsehbildschirmen jener Jahre zeugt eine Sendereihe des Senders Freies Berlin: in »Berlin stellt vor« sehen wir ihn als Anchorman im Interview mit Persönlichkeiten aus Kultur und Wissenschaft – insbesondere einige Professoren aus den naturwissenschaftlichen Fakultäten der TU Berlin haben dabei bemerkenswerte Auftritte.

»Berlin stellt vor«

Gleich zweimal doziert Prof. Heinrich Hertel vom Institut für Luftfahrtbau der TU: einmal über die Vorteile der sicher bald kommenden und dann flächendeckend eingesetzten Senkrechtstarter, einmal über die Natur als Inspirationsquelle für den modernen Flugzeugbau.

Prof. Fritz Winkel erläutert anhand einer Versuchsanordnung Fragestellungen der Kommunikationswissenschaft.

Prof. Wilhelm Braun-Feldweg gibt eine kleine Einführung in das Alltagsdesign der 60er Jahre.

 

Der Direktor des Berliner Aquariums Werner Schröder erklärt Art und Verhalten verschiedener damals als grotesk empfundener Tierformen – ein Leckerbissen für Spinnen- und Insektenfreunde.

Auch Autorengespräche sind in den 39 Sendungen enthalten: online verfügbar sind derzeit das Interview mit Helmut Heißenbüttel, mit dem Elsässer Schriftsteller Alfred Kern und eines der überaus seltenen Interviews mit João Guimarães Rosa, dem vielleicht bedeutendsten Autor der brasilianischen Moderne. Seinem Bildungsauftrag kam der Sender Freies Berlin zur Primetime nach: immer dienstags um 19:30 Uhr erklang die ohrwurmverdächtige Vorspannmusik dieser Serie, und Höllerer bat zum Gespräch.

dichterlesen.net

Zahlreiche Veranstaltungen mit Walter Höllerer als Moderator oder Diskutant stehen auf dichterlesen.net zum Download und Streamen zur Verfügung: Eine Lesung mit Max Frisch zu seinem berühmten »Fragebogen« von Juni 1987, ein Studio LCB mit Ernst Jandl und Friederike Mayröcker von Dezember 1995, eine Diskussion mit Günter Grass und Peter Bichsel zu »50 Jahre Gruppe 47 – Die Tagungen als Lesewerkstatt« von März 1997 sind nur einige Beispiele …

Walter Höllerer zum Nachhören

Walter Höllerer, Brigitte Kronauer, Oktober 1991

Walter Höllerer, Brigitte Kronauer, 1991

Ernst Jandl, Walter Höllerer, 1995

Ernst Jandl, Walter Höllerer, 1995

Günter Grass, Walter Höllerer Oktober 1970

Günter Grass, Walter Höllerer  1970

Hans Bender, Walter Höllerer, 1977

Hans Bender, Walter Höllerer, 1977

Walter Höllerer, Günter Bruno Fuchs, 1971

Walter Höllerer, Günter Bruno Fuchs, 1971

Veranstaltungen & Ausstellungen

In Sulzbach-Rosenberg und in Berlin widmen sich eine Reihe von Veranstaltungen und zwei Ausstellungen Walter Höllerers Lebenswerk:

Flyer zum 100. Geburtstag

Am 1. Dezember 2022 hielt der Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Ernst Osterkamp, im Rathaussaal von Sulzbach-Rosenberg die Festrede zum Jubiläum. Auszüge daraus können Sie hier lesen. Der ganze Vortrag erscheint in der Märzausgabe 2023 unserer Zeitschrift »Sprache im technischen Zeitalter«.

Festrede Ernst Osterkamp

 

Maschinenbeziehungen: Am 6. Januar 2023 liest Emma Braslavsky aus »Die Nacht war bleich, die Lichter blinkten« (Suhrkamp Verlag, 2019). Im Anschluss findet ein Podiumsgespräch mit Verena V. Hafner, Professorin für Adaptive Systeme an der HU Berlin, statt.

»Sprache im technischen Zeitalter«: Die Ausstellung in den Universitätsbibliotheken der TU Berlin und der UdK Berlin ist bis zum 4. Februar 2023 zu sehen. An diesem Tag findet auch die Finnissage statt – System Ausstellung mit Nina Samuel, Felix Sattler und Hans Dieter Zimmermann.

Die Jubiläumsausstellung in Sulzbach-Rosenberg „Ich sah ich hörte…“ – Walter Höllerers Lyrik und ihre Orte kann bis zum 23. März 2023 besichtigt werden.

Walter Höllerer, »Welt als Sprache«

Emma Braslavsky

Festrede, Ernst Osterkamp

Festrede, Ernst Osterkamp

Monica und Tomas Tranströmer, Walter Höllerer, November 1997

Monica und Tomas Tranströmer, Walter Höllerer, 1997

1993

Walter Höllerer, 1993

Walter Höllerer, Günter Grass, 2001

Walter Höllerer, Günter Grass, 2001

Texte: Thomas Geiger, Jürgen Jakob Becker, Katharina Kohlhaas, Literaturarchiv Sulzbach-Rosenberg
Bilder: Literaturarchiv Sulzbach-Rosenberg, Archiv LCB, Walter Höllerer und Renate von Mangoldt © Klaus Wagenbach, Ernst Osterkamp © Peter Geiger, Emma Braslavsky © Stefan Klüter/Suhrkamp Verlag, Titelbild: »Modernes Theater auf Kleinen Bühnen«, 1964 © Renate von Mangoldt, alle anderen © Renate von Mangoldt
Gestaltung: Katharina Kohlhaas, Dezember 2022
Dieser Digital Essay wird laufend aktualisiert.
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