Hà Nội, spazieren gehen mit den stummen Wolken

Zerstreute Wolken. Sonnig, kalt. Die Wolken steigen auf zu Buchstaben im Kopf, doch setzen sich und werden, nach einer festeren Gestalt verlangend, zu Wörter. Die Buchstaben im Notizheft ändern ihre Formen, ziehen sich zusammen. Die Bilder stoßen in meinem Kopf Themenwechsel an. Etel Adnans Brief an Fawwaz. “Of Cities And Women.” Barcelona. Aix-en-Provence. Skopelos. Murcia. Amsterdam. Berlin. Beirut. Rom. Beirut (noch einmal). Natürlich, Hà Nội. Von meiner Ecke in dem Café, eine Schaufensterpuppe macht sich nicht die Mühe mich anzuschauen. Schulen schließen. Kinder sind froh nicht früh aufstehen zu müssen und fürchten sich sogar davor zurückzukehren. In meinen Gedanken gehe ich eine Runde um den Hoàn Kiếm See. Die Straßen verlassen, wüst. Verschwommene Bildflecken. Die Buchläden hier halten nichts mehr für mich bereit. Ich bestellte Etels Bücher zweimal aus der Ferne. Letztes Jahr, als Geburtstagsgeschenke an mich selbst, kamen sie nicht an. Schließlich kamen sie doch, nachdem sie sich monatelang aufhielten bei einer Freundin. Sài Gòn im Lockdown. Vielleicht, weil mein nächster Geburtstag bevorsteht, ist das also ein Geschenk für mein Ich dazwischen. Aber ein statischer Punkt, welchen Sinn ergibt er? “Mein Ich”, eine Leere. Heute Früh öffneten die dürren Rosen auf meinem Balkon ihre Blüten. Mein vietnamesischer Körper ermutigt und warnt mich jedes Mal, wenn er herausbrechen und die Form sprengen will, mit dem Mantra: “Keine Sorge, du bist großartig darin still zu sein.” Jemand bricht gerade auf. Jemand schließt gerade die Türen. Ich lasse meine Türen offen und kein Kind kommt um daran zu klopfen. Hohe oder tiefe Wolken. Ich lerne zehn Wolkenarten, Wörter mit lateinischem Ursprung, zu unterscheiden und eines Tages kann ich es einem Kind beibringen. Letztlich vielleicht erscheinen die Buchstaben in Formen, wolkenartig, in Gestalt eines Menschen, ein Begleiter, jemand, mit dem ich aufwache, mitgehe, jemand, der sich mir anschließt, der mit mir Dinge erträgt vielleicht. Aber jetzt gehe ich nirgendwohin. Die Wolken nur, Sammler meiner Stille und womöglich, die Lasttragenden.
Foto mit meinem Telefon aufgenommen im Café Hầm trú ẩn (übersetzt: Bunker / Unterschlupf)

Übersetzung: Hieu Hoang