交通標語
我開車。這意味著,當此刻疫情蔓延,我罕有搭乘大眾交通工具的機會;也意味著,如果我願意,離住處不遠的快速道路三岔口:其一,十分鐘能進入台北市百貨森林區;另一條路持續延伸,將連接台灣西部高速公路;第三條路則通往島嶼東緣,四十分鐘後是一處溫泉鄉,二個半小時到達東部心臟:花蓮市。
開車和閱讀一樣,都是看似孤獨又不斷與世界產生互動的作業。有時我懷疑人真能這樣多工處理?在多線馬路上前進,切換,暫停,疾行,彼此交錯又盡可能避免犯錯。一條馬路是一個社會的縮影。基於平日讀字習慣,我也耽讀馬路上各種字(有時不免分心)。最先讀到的總是街道名字。幾年前,路牌默默被汰換成可夜間發光的版本;與此同時,原本僵冷的交通警語告示牌,也逐漸更換成容易辨別的圖樣或LED電子看板。
用一個「閃光照相機」圖樣取代「常有測速照相/請依速限行駛」很可以理解。據說日本某地方政府為了讓駕駛人更快讀取交通警語內容,原本四個字的告示牌硬是濃縮為兩個字,且降低漢字使用,減少大腦運轉所需。但我發現,LED電子看板在台灣登場後,除了制式的「保持車距/確保安全」,或必要資訊告示如「前方隧道清洗作業中請小心駕駛」,或配合時事宣導「出入公共場所/請落實勤洗手」,偶爾也會出現「逃過酒測/死神難測」,「拉大車距/沒有悲劇」;甚至有我僅耳聞未曾親眼見過的「你若酒駕,我就改嫁」——比起偶爾瞥見在柏油路上標字的工人,工整寫下配合視覺隧道效應的長型大字,這些字數不短的交通警語簡直過度花俏,又因其刻意押韻,在我腦中留下揮之不去,無法判斷質地優劣的餘味。
基於各種原因,台灣的現代詩寫作並不必然押韻。但我們如何可能克服身體裡代代相傳的巫?當韻腳,如此輕易勾曳出文化血緣中的鄉愁,又暴力又幸運地踩踏著耳朵,無分雅俗的韻,透過視覺指揮聽覺,繼而遙控身體。
其實,也不是全不押韻。這天,我開車出門,下車後戴上口罩,到專賣詩集的書店,取拿我預購的《脊椎之軸》。我不確定其他國家,有沒有一位頂尖詩人,同時是流行歌作詞者?我們擁有夏宇。兩天半售出五百冊的純白色詩集,收有三十三首短詩,但不藉由油墨印刷,而是到此城碩果僅存的鉛字行鑄字,掃描製版,後以機器重壓,讓字在紙面上浮凸出來。
夏宇說她走一條一千六百公里的長路,走到箭頭消失處,把路上得來的詩全都燒了。十年間陸續撈回短短長長的句子,於是有了《脊椎之軸》。封面上確實有著方向不一的箭頭們,我在燈下透過光線的幫助,逐一嚼著或許押韻或許並不的句子,那是孵自身體的音樂。我且發現,那也是夏宇沿途留下的交通標語。
Verkehrshinweise
Ich bin Autofahrer. Das bedeutet, dass ich in Zeiten von Epidemien wie der jetzigen noch seltener Gelegenheit habe, mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren. Es bedeutet auch, dass ich, wenn ich will, von meiner Wohnung aus über den Autobahnzubringer die Qual der Wahl habe: gerade einmal zehn Minuten und ich finde mich im Kaufhausdickicht Taipehs wieder; alternativ führt mich eine andere Strecke immer weiter bis auf die Autobahn des Westteils von Taiwan; oder aber ich nehme den dritten Weg, rüber in den Ostteil der Insel, bis zu den heißen Quellen dort sind es bloß vierzig Minuten; zwei Stunden mehr und ich bin im Herzen der Ostküste angelangt: der Stadt Hualien.
Autofahren ist wie Lesen — eine scheinbar einsame und doch von ständiger Interaktion mit der Welt geprägte Tätigkeit. Manchmal frage ich mich, ob der Mensch dieser Art von Multitasking wirklich gewachsen ist: auf mehrspurigen Straßen fahren, die Spur wechseln, plötzlich anhalten, Vollgas geben, zwischen und an den anderen vorbei und das alles auch noch möglichst fehlerfrei. Die Straße als Abbild der Gesellschaft. Weil ich gewohnheitsmäßig viel lese, komme ich auch um die vielen Schilder und ihre Beschriftungen nicht herum, denen man auf den Straßen hierzulande begegnet (und die mich bisweilen ziemlich ablenken). Als Erstes fallen einem die Schilder mit den Straßennamen ins Auge. Vor ein paar Jahren hat man sie still und heimlich gegen welche ausgetauscht, die nachts leuchten; gleichzeitig hat man auch die Schilder mit den steifen Warnhinweisen nach und nach durch leicht erkennbare Symbole oder elektronische LED-Tafeln ersetzt.
Dass man das Schild „Hier finden Geschwindigkeitskontrollen statt, bitte Geschwindigkeitsbegrenzung einhalten“ mit dem Symbol einer „Blitzkamera“ ersetzt hat, ist noch gut nachvollziehbar. Angeblich haben einige Lokalregierungen in Japan ebenfalls wo immer es ging die Anzahl der Kanjis auf den Hinweisschildern von vier auf zwei reduziert, damit das Gehirn weniger arbeiten muss und man sie beim Fahren schneller aufnimmt. Aber wie ich festgestellt habe, findet man seit Einführung der LED-Anzeigetafeln in Taiwan nicht bloß strenge Imperative wie „Mindestabstand einhalten — Sicherheit geht vor!“, wichtige Informationen wie „Bauarbeiten im Tunnel voraus, bitte vorsichtig fahren!“ oder aktuelle Hinweise zur Förderung des Gemeinwohls wie „Nach dem Aufenthalt an öffentlichen Orten bitte gründlich Hände waschen“. Nein, manchmal erscheinen dort auch Sprüche wie diese hier: „Einen Alkoholtest zu ertragen spart die Fahrt im Leichenwagen“, „Sicherheitsabstand gibt’s zu Recht — Verkehrstragödien sind schlecht“, oder auch diesen Spruch, den ich allerdings nur vom Hörensagen kenne: „Alkohol am Steuer — die Scheidung wird teuer“. Im Vergleich zu den großen und unter Berücksichtigung des geschwindigkeitsbedingten Tunnelblick-Effekts stark in die Länge gezogenen Schriftzeichen auf der Straßenoberfläche, die man Bauarbeiter hin und wieder in penibler Feinarbeit auftragen sieht, wirken diese nicht gerade kurzen Warnsprüche völlig überladen — und weil sie sich dabei auch noch reimen, bleiben sie mir jedes Mal im Kopf hängen, ob ich will oder nicht. Sie hinterlassen einen Nachgeschmack, der sich nur schwer in Kategorien von Gut oder Schlecht einordnen lässt.
Aus vielerlei unterschiedlichen Gründen muss sich in der taiwanischen Gegenwartslyrik nichts reimen. Aber wie soll man der magischen Wirkung von Reimen entkommen, auf die wir seit Generationen konditioniert sind? Wenn sich etwas reimt, ruft es spielend eine Art kulturelles Heimweh hervor, das uns im Blut liegt, trampelt uns brutal und Glück verheißend in den Ohren, lässt uns keine Chance, die Spreu vom Weizen zu trennen, sondern befehligt über die visuelle Wahrnehmung direkt unser Gehör. Wir werden quasi ferngesteuert.
Dabei stimmt es eigentlich nicht, dass alles reimfrei ist. Ich bin heute mit dem Auto in die Stadt gefahren, hab mir, bevor ich ausgestiegen bin, einen Mundschutz aufgesetzt, bin in einen auf Lyrik spezialisierten Buchladen gegangen und habe mein vorbestelltes Exemplar von »Rückgrat-Achse« abgeholt. Ich weiß nicht, ob es in anderen Ländern auch großartige Dichterinnen gibt, die gleichzeitig Liedtexte für Popmusik schreiben. Wir haben jedenfalls Hsia Yü. Ihr ganz in weiß gehaltener Gedichtband enthält dreiunddreißig Kurzgedichte, hat sich in nur zweieinhalb Tagen bereits fünfhundertmal verkauft und kommt ganz ohne Druckerschwärze aus. Stattdessen ist sie in die wenigen noch erhaltenen Setzereien gegangen, hat den fertigen Bleisatz eingescannt und später von einer Hochdruckpresse in das Papier einprägen lassen, sodass die Schriftzeichen aus den Seiten hervor schweben.
Hsia Yü sagt, sie sei über eine eintausendsechshundert Kilometer lange Straße gelaufen, so lange, bis alle Straßenmarkierungen verschwanden. Dort hat sie alle Gedichte verbrannt, die ihr unterwegs beikamen. Dann hat sie über zehn Jahre nach und nach Sätze und Satzfragmente wieder hervor gefischt und zu »Rückgrat-Achse« geformt. Auf dem Einband sind wirklich lauter Pfeile eingeprägt, die alle in unterschiedliche Richtungen zeigen. Unter einer Lampe mache ich mich mit Hilfe des Lichtscheins daran, jeden ihrer Sätze auf mich wirken zu lassen, von denen sich manche reimen, andere nicht. Es ist wie Musik in meinem Körper. Und dann geht mir auf: es sind Verkehrshinweise, die Hsia Yü entlang ihres Weges aufgestellt hat.
Übersetzung: Johannes Fiederling
Traffic signs
I am a driver. This means I take public transit even less frequently now that the Coronavirus is spreading. It also means that I have a lot of choices. When I drive onto the expressway close to my flat, in fact, I have three choices: first, within ten minutes, I can head to the wilderness of commerce that is Taipei city; second, I can head south on the highway until I reach the west coast expressway; third, I can head east, from where it is only forty minutes to the hot springs area. Two hours more and I could be in Hualian, the beating heart of the east coast.
I am a driver who is also a reader. Driving and reading are actually similar in a lot of ways. They seem like lonely activities, but they are both ways of getting around and both require constant interaction with the world. Sometimes, I wonder how people can handle the complexity of the task. While driving, for instance, I have so much to do to reach my destination: keeping to the speed limit, staying in my lane, changing lanes, turning, stopping and starting. A road is a microcosm of a society. I often have a hard time keeping my eye on the road, because, as I said, I’m a reader: I get distracted by all the words, starting with the street names. A few years ago, traditionally painted or printed street signs were replaced by signs that glow in the dark so they are visible at night. Around the same time, warning signs became much more legible. They “came to life” as more and more flashy (or flashing) symbols or LED displays were used.
I can understand replacing the signs that said “frequent speed cameras, please observe the speed limit” with flashing camera signs. Supposedly, some local governments in Japan reduced the kanji in the street signs, actually used as few kanji as possible, to make it easier for drivers to read them by reducing the “cognitive load.” This hasn’t happened in Taiwan, where the wording hasn’t changed in standard signs like “Keep a safe distance,” “Drive carefully, tunnel cleaning crew at work ahead,” or, more recently, “Please wash your hands before entering or leaving the area.” Occasionally, you still see workers writing characters right on the road in a tall font to accommodate the “tunnel effect.” What’s happened in Taiwan is the versification of signs like: “If you drive the fastest, you’ll end up in a casket.” Or: “Don’t you drink and drive if you want to stay alive.” Or even: “You might pass the breathalyzer, but not drinking at all would be wiser.” These often quite lengthy signs are too fancy for my taste. The deliberate rhyme is like a mental Aspartame, making it hard for me to judge if it’s clever or just lame.
The versification of street signs reminds me that modern poetry in Taiwan does not necessarily rhyme. I wonder how modern poets have managed to wean us off the witch’s brew of rhyme. Rhyme is powerful, after all. It’s addictive. It’s like nostalgia piercing marrow and bone. When we read a rhyme, whether it is elegant or vulgar, it beats auspiciously in our ears. In this way, our eyes command our ears and, indirectly, our bodies, like a remote control.
Actually, modern poetry in Taiwan is not completely unrhymed. Today, for instance, I drove to a bookstore that specializes in poetry, got out of the car, put on my mask, went in, and picked up my preordered copy of Line of My Spine by Hsia Yü. I’m not sure if there are top poets in other countries who also write popular lyrics. In Taiwan, we have Hsia Yü, who is both a poet and a lyricist. Five hundred copies of her newest collection of thirty-three pure white poems sold in two and a half days. They are “pure white” because she didn’t use ink. Instead, she engaged the only type foundry in the city to scan the text, cast the characters, and set in type. A machine press was used to emboss the poems on paper.
Hsia Yü explains that she followed a road for 1.600 kilometers until all markings disappeared. Then she burned all the poems she had composed along the way. Over the next ten years, she kept recovering the lines in the poems she had burned and ended up collecting them in Line of My Spine. Indeed, there are various arrows pointing in different directions on the cover of this collection. Under a streetlamp, I think about the lines with the help of a ray of light, one by one. Some of them rhyme, but not all. To my body, it feels like music. And then I realized that each one was a traffic sign that Hsia Yü has left behind along her way.
Translation: Darryl Sterk