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Was ich mache, wenn ich nicht schreibe

Denis Pfabe

33_Pfabe_Fleischautos © privat

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Ich zerschneide Papier. Eine Menge davon. Mein Atelier ist vollgepackt damit – kistenweise stapeln sich da alte Magazine und Bücher. Vieles davon aus den 1980er-Jahren oder älter. Der Geruch von altem, stockfleckigem Papier schlägt mir entgegen, jedes Mal, wenn ich die Tür aufschließe. Die Kunstform des Collagenmachens hat zwei Seiten: einerseits die Materialbeschaffung und dann das eigentliche Ausschneiden, Sammeln und Arrangieren der einzelnen Papierteile. Wobei das Heranschaffen von alten Fotos fast den größeren Teil der Arbeit ausmacht.

Ich habe früher selbst fotografiert. Nie mehr als über das Hobbyniveau hinaus. Das Collagenmachen hat mein Auge für Fotografien aber noch einmal neu geschult. Ganz anders, als wenn man aktiv durch den Sucher blickt und seine Bildkomposition sucht, geht es nun darum, die Kompositionen anderer zu dekonstruieren. Wenn ich alte Fotografien finde, überprüfe ich sie sofort auf ihre „Ausschneidbarkeit“. Bildaufbau und Perspektive bekommen hier noch eine ganz andere Rolle: je simpler oder unterkomplexer, desto besser. Viel Material, das ich benutze, stammt aus alten Werbeanzeigen, Möbelkatalogen, Kochbüchern, Pornoheften oder Ratgebern. Manche für exorbitant viel Geld im Antiquariat gekauft, andere aus dem Altpapiercontainer gerettet.

Collagen sind für mich unplanbar. Das ist das Anziehende an dieser Kunstform. Ganz anders als beim Schreiben. Alles ist immer viel schneller, direkter. Ich weiß vorher nie, was ich als nächstes mache, wie die Collage aussehen könnte oder mit welcher Thematik ich mich überhaupt beschäftige. Da ist immer bloß eine grobe Vorahnung. Es entsteht alles aus dem Moment heraus. Dieser geplante Zufall, das gesteuerte Chaos. Und dennoch geht es auch hier, genau wie im Schreiben, immer um das eine: Geschichten erzählen.

 


 

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Dieser ›Stoff‹ ist Teil von »›Tick Tack‹ und ›Simonelli‹«, Lesung und Gespräch mit Julia von Lucadou und Denis Pfabe am 28. April 2022.

Materialsammlung »Stoffe«

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