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Komorebi

Lea Sauer

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木漏れ日, Komorebi. ›Sonne, die durch ein Blätterwerk scheint‹. Eine andere Übersetzung aus dem Japanischen schlägt ›Sonnenblinzeln‹ vor. Was den Kern nicht trifft, denn nicht die Sonne blinzelt und auch die Blätter und Betrachter blinzeln nicht, zumindest nicht allein, sondern wenn es etwas ist, das Geblinzel, dann das: alles zusammen. Sonne, Blattwerk, Perspektive. Und auch nicht nur als Hell/Dunkel wie ein Augenauf/zu, sondern als Lichtschlieren, Staubglitzer, Glimmen zwischen den Ästen und Glast. Das Zusammen ist Komorebi.

Ich schreibe von diesem Licht, weil ich eigentlich vom Stoff schreiben will, aus dem Schreiben besteht; für mich. Und weil es immer da ist, dieses Komorebi-Feeling, wenn ich schreibe. Oder nein, nicht immer, aber immer dann, wenn ich den Stoff am besten finde. Finden wie ein Ende von Suchen, nicht wie das Ende von Abgleich. Ohne die Worte direkt parat zu haben, vielleicht nie so richtig parat zu haben für das, was da am Ende passiert. Was ich eigentlich sagen will, wenn ich von Komorebi spreche, ist: Der Stoff sitzt zwischen Sprache und Inhalt, splittert sich auf, findet sich in der Form, einem Blickwinkel, weil es für das, was beschrieben wird, keine direkte Entsprechung in der Sprache gibt. Es sind immer nur Übertragungen wie ein Sonnenblinzeln, Annäherungen. Ein Schritt genügt und es sieht alles ganz anders aus.

Aus diesem Grund ist das Schreiben über das Finden des Stoffs ebenso nur eine Annäherung, kann nur eine scheiternde Übersetzung sein, weil es nicht um einen Vorgang, sondern einen Zustand geht; für mich. Dorothee Elmiger nannte das offene, sammelnde Blicken, diesen Zustand beim Schreiben, mal „Soft Eyes“ und ich glaube daran; der Blick muss soft bleiben an den Rändern, darf sich nicht verengen. Ich glaube aber auch an Schärfe und Highlights. Da kippt etwas ins Helle; als würde man zu lang in die Sonne gucken, blitzelt es auch dann noch nach hinterm Lid, wenn man die Augen schließt. Das ist der Stoff. Ich glaube, das ist ein Gegensatz, Highlights und Softness. Genau diesen Gegensatz gilt es auszuhalten. Ich meine nicht: Epiphanie. Ich meine vielleicht: Intuition. Ich meine: Das Zusammensetzen von Lichtstücken, das Festhalten davon. Ich meine: Scheitern daran. Denn es könnte immer auch anders sein, das geringste Zucken genügt, ein Schritt und das Licht fällt anders aufs Blatt. Aber ich zucke, zögere nicht, ich blicke und blicke und blicke, bis das Licht an allen Rändern – knallt.

 


 

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Dieser ›Stoff‹ ist Teil von »Stoffe: Flanieren durch Psychogeographien«.

Materialsammlung »Stoffe«

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