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Dinge der Anderen

Asal Dardan

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Mit seinen Händen hat er zwei Broschen aus Kupfer gefertigt. Sie haben ihm in der Psychiatrie das Werkzeuge dafür hingestellt, vermutlich eine Holzunterlage und einen kleinen Hammer, den Metallkleber für die Verschlussnadeln und die Farben. Für die ovale Brosche hat er Blau- und Grüntöne gewählt, die runde Brosche hat er in gelb und orange bemalt. Ich habe die Broschen seit fast dreißig Jahren, um mich daran zu erinnern, dass seine Hände auch einmal mich berührt haben. Als ich noch ein Kind, sein Kind war.

Aus seinen Händen nahm ich die drei Figuren, nachdem er im Monopoly gegen mich verloren hatte. Eine Figur für jede Million, die er mir schuldete. Es waren vier Komponisten, die dieser in vieler Hinsicht fremde Mann, unser Freund, so leichtfertig an mich abgab. Die vierte Komponistenfigur musste ich auf seinem Fensterbrett stehen lassen. Sie blieb dort bis zu seinem Tod. Was danach mit ihr geschehen ist, weiß ich nicht. Die anderen drei haben jeden meiner bisherigen Umzüge mitgemacht.

Durch ihre Hände gingen die Kügelchen aus Rosenquarz. Sie betete auf Assyrisch, flüsterte in sich hinein, während sie im Schneidersitz auf dem schwarz-weißen Sofa ihrer Tochter saß. Es sah aus, wie ein Zebra, weshalb wir als Kinder immer darauf herumsprangen und so taten, als würden wir ein wildes Tier fangen. Vom Sofa habe ich ein Foto, ich stehe gemeinsam mit zwei meiner Cousins vor dem Sofatisch. Unsere Kleidung ist farblich aufeinander abgestimmt, vor uns steht ein Geburtstagskuchen und viele Süßigkeiten. Ihre Namen sind mir geblieben und der Rosenkranz meiner Großmutter.

Stoff und Gegenstand. Ich habe erst begonnen, meinen Worten zu trauen, als ich lernte, die Dinge wahrzunehmen, die mich mit anderen Menschen verbanden. Die Dissoziation kleinhalten, ihr nicht nachgeben, ihr sagen: Hey, hier ist ein Ding und wenn es da ist, waren auch wir da. Wir haben es in die Hand genommen, wir haben uns an die Hand genommen, wir haben gesprochen und gedacht und gefühlt, gerungen und gegeben. Manches ist entwischt, aber nicht alles. Nicht dieses Ding in der Welt.

 


 

Woraus besteht die Gegenwartsliteratur? Unsere Reihe im Rahmen von »Neustart Kultur« fragt: Woraus ist die deutschsprachige Gegenwartsliteratur gemacht, aus welchen Materialien, Gegenständen und Ideen besteht sie, aus welchen Stoffen gewinnen Texte heute ihre Kraft? Mehr Infos zur Veranstaltungsreihe hier.

Dieser »Stoff« ist Teil von »Stoffe: Heilung mit Händen und Fell«.

Materialsammlung »Stoffe«

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