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Automaten

Berit Glanz

02_Glanz_Autormaten © Bekky Bekks

© Bekky Bekks

In der Bahnhofshalle der holsteinischen Kleinstadt, in der ich aufwuchs, gab es einen Snackautomaten, der mit Süßigkeiten gefüllt war und die Kinder in dem ansonsten langweiligen Warteraum wie ein Magnet anzog. Der Automat war noch völlig mechanisch. Die elektronisch gesteuerten Fallmechanismen der Snackautomaten der Gegenwart gab es damals noch nicht. In den hellgrauen Lack hatten Menschen ihre Namen eingeritzt und es gab diese Abriebfläche, auf der Münzen gerieben wurden, die der Automat nicht erkannte. Vielleicht liegt der Ursprung meiner Faszination für Automaten in diesen frühen Erinnerungen.

Die wichtigsten Automaten, denen man in seiner Kindheit begegnet, haben etwas mit Süßigkeiten oder Spielzeug zu tun. Die großen Flummiautomaten, in denen der Ball eine lange Spirale herabrollt, bis er im Ausgabefach ankommt; die Greifautomaten, mit denen man versucht ein Stofftier zu angeln; die roten Kaugummiautomaten an der Straße mit Kaugummikugeln, kleinen Plastikringen und rotglasierten Erdnüssen. Die vielen Autos und Schiffe, in die man in der Fußgängerzone einsteigen kann, Pferde oder Motorräder, die einen für wenige Minuten durchschütteln und dann immer langsamer werden, bis sie anhalten und man um die nächsten Münzen betteln muss.

Die ersten Automatenerfahrungen wirken magisch, weil man den Mechanismus noch nicht durchschaut, man wirft oben eine Münze hinein und etwas Aufregendes geschieht. Bereits in der Antike wurden Automaten gebaut, in denen die Kräfte von Wasser und Luft in komplizierten Mechanismen eingesetzt wurden. In historischen Quellen finden sich viele Pläne für automatische Vögel. Immer wieder wurden Tiere nachgeahmt und Automaten gebaut, die keinen Nutzwert hatten, sondern ein Faszinosum waren, ein ästhetisches Ereignis und ein Verweis auf die Genialität des Menschen. Automaten oszillieren immer noch zwischen diesen Polen: Spielfreude und Gebrauchsfunktion, Arbeitserleichterung und Effizienzsteigerung.

 


 

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Dieser »Stoff« ist Teil von Stoffe #2.

Materialsammlung »Stoffe«

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