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Anakaona

SchwarzRund

Gemälde in Acryl, 2020 © SchwarzRund

Warum wird dieses erklärt? Warum wird jenes nicht erklärt? Doch für wen ich eigentlich gerade erkläre, wird selten gefragt.

Die Protagonistin meines Buches sollte den Namen Anakaona tragen, daraus wurde im deutschen Pass dann Ana. Dies ist der einzige eindeutig autobiographische Teil meines Romans »Strandapfel«. Anakaona war zu Zeiten von Columbus das höchste Staatsoberhaupt der indigenen Bevölkerung auf der Insel, die heute Haiti und die dominikanische Republik beheimatet.

Haiti stellte Anakaona als Statue überlebensgroß auf. Dominikaner·innen identifizieren sich selbst durch sie in die Geschichte hinein, ohne sich einer race zuordnen zu müssen. Als zwar nicht-spanisch, aber auch nicht Schwarz. Sie ist Stoff für Narrative, die eine vorkoloniale, widerständige Identifikationsfigur benötigen.

Bei meiner Arbeit an »Strandapfel« erkläre ich das komplexe racial system meiner Heimat sowohl mir wie auch den Lesenden; die Grenze zwischen der weißen Bequemlichkeit des Lesers und mir verschwimmen. Diese Trennlinie aufzulösen verkompliziert die Antwort auf die Frage, für wen ich erkläre. Meine dominikanische Protagonistin taugt weder als Posterchild der Integration noch als Widerstandsikone gegen deutschen Rassismus. Wie Anakaona ist sie widersprüchlich. Ich nehme mir raus, über das zu schreiben, was die Grenzen zwischen privilegiert und disprivilegiert durch einen globalen Rahmen verschiebt.

»Einfachheit« ist etwas, das die deutsche Literaturbranche oft positiv hervorhebt als direkt, fesselnd, aufrüttelnd. Einfachheit ist etwas, das mir das Symbol Anakaona als Stoff verbietet. Die Geschichte meiner Heimat ist komplex und lässt sich nicht in Gut und Böse sezieren, die Geschichten von Afro Lateinamerikaner·innen in Deutschland literarisch wenig reflektiert, es gibt keinen breiten Kanon, auf den ich mich als Vorwissen bei den Leser·innen verlassen kann. Einfachheit und das Verweigern von Erklärungen leisten somit keine eindeutigen Gradmesser der Widerständigkeit des Buches.


 

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Dieser »Stoff« ist Teil von Stoffe #8.

Materialsammlung »Stoffe«

Gemälde in Acryl, 2020 © SchwarzRund

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