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Spiel

Anna Hetzer

34_Hetzer_Spiel © privat

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Annäherung an Sprache. Manchmal fließt es, manchmal null. Hängt mit Hitze zusammen oder mit dem Technobeat der Sanierungsbagger, draußen. Da hat Sprache bereits die Welt in Stücke gerissen und allen Dingen einen Ort zugewiesen. Manchmal sind die Finger so schwitzig, dass die Tastatur klebt, oder die Kühlung im Laptop fängt an zu röhren, weil er überlastet ist vom Videomaterial: Heuschreckenstapeln vielleicht; Einmaleins der zentralasiatischen Geschichte; und Ähnliches.

Lese nach Zufallsprinzip Gedicht, Text. Dann die Ahnung, mein Medienkonsum unterliegt gar keinem Zufall, sondern einem ausgeheckten Algorithmus, der genau weiß, was mir gefällt. Dass meine eigenen Texte auf der Grundlage eines solchen Algorithmus entstehen könnten, finde ich unheimlich. Unsere Freiheit beschränkt sich auf den Spielraum, den die Programme uns belassen, schrieb Vilem Flusser schon in den 80ern.

Aber ich bin doch kein Zombie in der Matrix. Oder? Mein Körper fühlt sich trotz seiner zunehmenden digitalen Codierung immer noch sehr analog an. Er fängt an zu stinken, wenn ich ihn nicht wasche. Aber Ich bin doch dieser Körper, der stinkt. Ich friere und mache mir einen Tee, ziehe die Decke über dem Pulli enger um die Schultern. Abends werde ich schnell müde, bin definitiv keine Eule. Aber auch keine Lerche. Nein, irgendwas dazwischen.

Manchmal bin ich den ganzen Tag so horny, dass ich mich kaum konzentrieren kann. Klicke durch die Neuerscheinungen im Regal heimlicher Erotik. Als Autorin verschwinde ich nicht hinter meinem Text. Gleichzeitig entscheide ich, was ich für mich behalte. Nur für mich tue und weiß. Lebe doch und bin nicht tot. Auch wenn das einem endlos erfolgreichen Markt, sprich Wettbüro, vielleicht so passen würde.

Sich nicht alles gefallen lassen. Im Spielgel deutet sich die Möglichkeit von Text an. Aber wie radikal ist es, in einem Spiel mitzuspielen? Wie viele Regeln braucht ein Spiel? Muss es kompetitiv sein? Und wer gewinnt immer? Erschaffe mit Anderen einen Spielraum im Kopf. Poesie. Safe Space. Partybühne. Sprachliche Handlungen im Gewebe.

 


 

Woraus besteht die Gegenwartsliteratur? Unsere Reihe im Rahmen von »Neustart Kultur« fragt: Woraus ist die deutschsprachige Gegenwartsliteratur gemacht, aus welchen Materialien, Gegenständen und Ideen besteht sie, aus welchen Stoffen gewinnen Texte heute ihre Kraft? Mehr Infos zur Veranstaltungsreihe hier.

Dieser ›Stoff‹ ist Teil von »DYKE DOGS Literatur Salon«, kuratiert von Eva Tepest und Lynn Takeo Musiol, mit Duygu Ağal, Magda Albrecht, Kaśka Bryla, Samantha Bohatsch, Karen-Susan Fessel, Franziska Gänsler, Anna Hetzer, Selma Matter, Ronya Othmann, Marie Lucienne Verse, Hengameh Yaghoobifarah und Derya Yıldırım, am 15. September 2022.

Materialsammlung »Stoffe«

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