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Iron Maiden

Diana Weis

Iron Maiden © Diana Weis

Iron Maiden © Diana Weis

Ein Kleid, das mehr sein will als eine bloße Bekleidung, so schrieb es die bahnbrechende Modedesignerin Anna Muthesius 1903, dürfe keinesfalls nur praktischen Ansprüchen genügen, sondern müsse derartig gestaltet sein, den „inneren Menschen“ zu befreien.

Mag sein, dass die Mode auch deshalb so rastlos Variationen spinnt, weil dieser innere Wesenskern, der da herausgelassen werden soll, eigentlich ein recht konturenloses Ding ist, das bald hierhin und bald dorthin wabert, immer auf der Suche nach einer neuen aufregenden Form.

Nun sind die Zeiten aber so, dass gerade das, was die elegante Gesellschaft als solche auszeichnet, das lustbetonte Konsumieren zur Inszenierung des Selbst, plötzlich als unfein gilt. Das Wechselhafte soll wieder dem Stabilen weichen, und zwar in Qualität ebenso wie im Ausdruck.

Eine Kluft also muss her, denn dient zwar dem modischen Zweck der schmeichelhaften Selbstdarstellung, gehört jedoch selbst nicht zur Sphäre der Mode, weil sie sich den kapitalistischen Marktgesetzen entzieht oder das zumindest vorgibt.

Die Kutte ist ein Kleidungsstück, dass alle genannten Anforderungen vollständig erfüllt. Denim ist ein ehrlicher Stoff, klassenpolitisch unverdächtig, zudem strapazierfähig. Sie besitzt eine klare Symbolsprache, die eine Kommunikation auf verschiedenen Komplexitätsleveln zulässt.

Jedes Band-Logo ein eigener Bedeutungskosmos. Der Backpatch, das größte Bild in der Mitte, gibt den Grundton vor. Die kleineren Aufnäher, die seine Ränder säumen, verleihen Nuance: gliedern, differenzieren, spezifizieren. Ein Flickenwerk im Wortsinn, gesammelte Erfahrungen, Gefühle und Zustände, in Stoffstücke gebannt und in Handarbeit mit Nadel und Faden zusammengefügt.

So, wie er dasteht, bilden der innere und der äußere Mensch des Mannes mit der Iron-Maiden-Kutte eine untrennbare und unverwechselbare Einheit. Mehr kann ein Kleidungsstück nicht leisten. Die Kutte ist sein „Eigenkleid“, ganz so, wie Anna Muthesius es vor 120 Jahren imaginierte.


 

Woraus besteht die Gegenwartsliteratur? Unsere Reihe im Rahmen von »Neustart Kultur« fragt: Woraus ist die deutschsprachige Gegenwartsliteratur gemacht, aus welchen Materialien, Gegenständen und Ideen besteht sie, aus welchen Stoffen gewinnen Texte heute ihre Kraft? Mehr Infos zur Veranstaltungsreihe hier.

Dieser ›Stoff‹ ist Teil von »Enjoy dich im Casino, Schatz!«, mit Jovana Reisinger, Sara Geisler, Roshanak Khodabakhsh, Benjamin Radjaipour und Diana Weis am 02. Februar 2023.

Materialsammlung »Stoffe«

Iron Maiden © Diana Weis

Iron Maiden © Diana Weis

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