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Eier haben

Roshanak Khodabakhsh

Eier haben © Roshanak Khodabakhsh

Eine der häufigsten Instagramwerbungen die mir mein Algorithmus bereits vor Jahren ausgesucht hat und immer wieder in den Feed spült, fordert mich dazu auf, meine Eizellen einfrieren respektive sie endlich befruchten zu lassen. Diese wechselt sich ab mit Datingtipps und irgendwelchen Produkten, die für erfolgreiche independent Single Ladies stehen. Oder diese Frauenkategorie dafür (z.B. Spa Hotels, Coachingseminare, Anzüge und hochwertige Handtaschen, immer mit dem Hinweis, dass sie jene Luxusartikel (sich selbst) verdient haben). Das finde ich interessant. Nicht nur die Auswahl als Verdeutlichung darauf, wie ich kategorisiert werde, sondern auch die ungenierte Einfachheit mit der diese Dinge beworben werden. Klar würde mir die Designerhandtasche beim nächsten Meeting besonders gut stehen, der Aufenthalt im Spa Bereich meinen Freundinnen ebenso, wie der gut verarbeitete Anzug, genauso wie der scheinbar maßgeschneiderte Traumtyp beim Traumdate. Aber dass es letztendlich doch immer nicht so einfach ist, hat einem ja schon die Erfahrung gelehrt. Die Tasche zu teuer, der Anzug kriegt Flecken, der Spa Aufenthalt leider schon wieder vergessen und Dating braucht Zeit und Energie. Was mich zum wichtigsten Punkt der Aufzählung bringt: dem Eier einfrieren.

Beim (social) egg freezing werden recht junge Eizellen entnommen, eingefroren und aufbewahrt, um zu einem späteren, auch weit in der Zukunft liegenden, Zeitpunkt künstlich befruchtet zu werden. Diese Methode kann, so bin ich mir sicher, unendlich viel Druck aus dem Reproduktionsgedränge nehmen. Dennoch werden dieser Möglichkeit große, schwere Steine in den Weg gelegt (Informationszugänglichkeit, Kapital, gesetzliche Einschränkungen). Das mag zum einen daran liegen, dass in patriarchalen Strukturen und Gesellschaften besonders gerne alles kontrolliert wird, was den Uterus betrifft. Dabei geht es genauso um Sterilisation wie Eizellen konservieren. Oftmals wird (jungen) Frauen sowohl das eine, als auch das andere verwehrt und verweigert. Jetzt nicht falsch verstehen: Es wird einem nicht verboten, aber der Zugang erschwert (gesetzlich vorgeschriebene Beratungstermine, suche nach Ärzt:innen die die Prozeduren durchführen, das medizinische Curriculum, das Abtreibung beispielsweise nicht in der gynäkologischen Fachausbildung beinhaltet.) Doch warum? Als hätten (junge) Frauen weder eine Vorstellung, noch eine Ahnung darüber, wie sie ihr Leben gestalten wollen. Bei den einen wird auf ein später verwiesen („Was, wenn du später Kinder willst?“) oder auf eine Gegenwart gepocht („Lieber früh die Kinder kriegen, wer will schon eine alte Mutter sein!“).

Ein Prinzip des weiblichen Lebens: nicht ernst genommen zu werden. Ob im Job, im Alltag oder in der Medizin. Abtreibungsgesetze gehören da genauso dazu, wie die teure HPV-Impfung, wie die sechs Jahre, die statistisch auf die Endometriose-Diagnose gewartet werden muss.Die Überlegung, was gewesen wäre, hätte ich mir mit Anfang Zwanzig diesen Eingriff leisten können, bringt mich sofort dazu es für alle anderen einzufordern, für die es noch nicht zu spät ist. Jede Person mit Eizellen soll doch diese Entscheidung für sich treffen können – ob, wann und wie sie Kinder will. Ich bin heute streitlustig. Warum übernehmen die Krankenkassen diese Eingriffe nicht als Leistung? Warum gibt es in jedem Bereich, der den Uterus auch nur streift, Gesetze, Forderungen und Verbote? Die Welt wäre eine andere, würden Frauen selbst über ihre Körper entscheiden dürfen. Und ich will diese Welt.


 

Woraus besteht die Gegenwartsliteratur? Unsere Reihe im Rahmen von »Neustart Kultur« fragt: Woraus ist die deutschsprachige Gegenwartsliteratur gemacht, aus welchen Materialien, Gegenständen und Ideen besteht sie, aus welchen Stoffen gewinnen Texte heute ihre Kraft? Mehr Infos zur Veranstaltungsreihe hier.

Dieser ›Stoff‹ ist Teil von »Enjoy dich im Casino, Schatz!«, mit Jovana Reisinger, Sara Geisler, Roshanak Khodabakhsh, Benjamin Radjaipour und Diana Weis am 02. Februar 2023.

Materialsammlung »Stoffe«

Eier haben © Roshanak Khodabakhsh

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