LCB

The Game(s) of Translation

Dialoge, Reflexionen, künstlerische Positionen
im Rahmen von JUNIVERS 2021

Ein Format des Exzellenzclusters
»Temporal Communities:
Doing Literature in a Global Perspective
«
in Kooperation mit TOLEDO und LCB

Mit Beiträgen von
Shane Anderson, Simon Godart, Simone Homem de Mello, Lea Hopp, Wolfgang Hottner, Anna Luhn, Marion Maurin, Melanie Möller, Felix Schiller, Sophie Seita, Jasmin Wrobel und Tr4ducc1ón 3xp4nd1d4

Konzept: Anna Luhn und Lena Hintze
Visuals: Franziska Paul

The Game(s) of Translation nimmt explorative, subversive, aktionistische Lyrikübersetzungen in den Blick: Lyrikübersetzer·innen, Literaturwissenschaftler·innen und Künstler·innen haben sich mit dem kritischen Potential von Praktiken, Konzepten und Theorien auseinandergesetzt, die sich als Interrogationen der übersetzerischen Kulturtechnik und ihrer tradierten und ungeschriebenen Regeln begreifen und/oder als solche wirksam werden. Entstanden sind materialbasierte Lesungen und Gespräche, theoretische Spurensuchen und künstlerische Explorationen, die es in drei Sektionen zu entdecken gibt: Explorations, Concepts, Ma­terials.

EXPLORATIONS

Zwei künstlerische Explorationen nähern sich mit verschiedenen medialen Mitteln und in genuin digital raumgreifenden Arbeiten lyrischen Werken aus dem (neo-)avantgardistischen Kontext der 1960er Jahre. Auf höchst unterschiedliche Weise wagen sie das Spiel und die Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Prämissen von Übersetzbarkeit und machen das Übersetzen als kulturelle Praxis sichtbar, die – jenseits des Beliebigen – immer auch eine interpretierende, eine transformierende, eine schöpferische Tätigkeit darstellt.

»Rengashis’ Room« ist eine visuelle Übersetzung des mehrsprachigen Gedichtzyklus »Renga« von Octavio Paz, Jacques Roubaud, Edoardo Sanguineti und Charles Tomlinson, der 1969 in einem Hotelkeller entstand. Während des Lockdowns 2020/21 über mehrere Wochen in einem Hotelzimmer gedreht, zeigt die Filmarbeit der Künstlerin Lea Hopp, wie Isolation und das Dazwischen der Sprachen zum Träger eines poetischen Moments werden. Vom 11.6. bis zum 13.6. öffnet sich für 48 Stunden ein digitales Fenster, das Zutritt zu »Rengashis’ Room« und Einblick in die Welt seiner wechselnden Protagonist·innen gewährt. 2022 wird »Rengashis’ Room« als filmische Installation on site am LCB zu sehen sein.

Die argentinischen Autorinnen und Künstlerinnen Arlen Paolillo und Tuti Curani haben sich 2014 online via Tumblr kennengelernt, über die Lyrik ihre Freundschaft aufgebaut und sich schließlich zum Kollektiv Tr4ducc1ón 3xp4nd1d4 zusammengeschlossen. Ihr zweigeteilter Beitrag erschließt die Poesie der argentinischen Avantgarde-Dichterin, Übersetzerin und Fotografin Susana Thénon auf einer multimedialen, wenngleich vornehmlich visuellen Ebene mit diversen Zwischentönen: Das Spanische des Originals trifft auf universal verständliche GIFs und die Poetik von Gebärdensprache.

CONCEPTS
Wie lässt sich die Kulturtechnik des literarischen Übersetzens theoretisch fassen? Kann ein Nachdenken über die Grundlagen und Methodik von Übersetzung je von einer bestimmten, mit ihr verbundenen übersetzerischen Praxis abgetrennt sein? Literaturwissenschaftler·innen und Übersetzer·innen erkunden Konzeptionen von Übersetzung, die die geltenden translatorischen Konventionen ihres historischen, geografischen und diskursiven Umfelds zur Disposition stell(t)en, und reflektieren in ihren Beiträgen die Politik (und Historizität) des Konzepts ‚der‘ literarischen Übersetzung selbst.

Sich Übersetzung als Gerüst vorzustellen, das die Offenlegung des Denkens eines Gebäudes möglich macht, ist Ausgangspunkt von Sophie Seitas Cloudiness. Die Literaturwissenschaftlerin, Autorin, Künstlerin und Übersetzerin spürt der Materialität von Übersetzungen, dem Herstellungsprozess eines Werks nach und agiert sie in ihrer Lecture Performance selbst aus. Vielmehr als nur die Übertragung von einer Sprache in eine andere, offenbart sich Übersetzung in den Reflexionen und dem visuell-haptischen Echoraum ihres Beitrags als ein Akt der Bewegung, der durch eine spielerische Geste Strukturen und Machtverhältnisse sichtbar machen kann.

Der Dichter und Übersetzer Haroldo de Campos ist weithin als Aushängeschild der Konkreten Poesie in Brasilien bekannt. Den Beginn seiner poetischen Praxis bilden – mit der Gründung der Künstlergruppe Noigandres und der gleichnamigen Zeitschrift mit Augusto de Campos und Décio Pignatari – Übersetzungen etwa der historischen Avantgarden. Mit der Autorin und Übersetzerin Simone Homem de Mello spricht die Lateinamerikanistin Jasmin Wrobel über de Campos’ Übersetzungspraxis und -theorie der „Transkreation“ und ihren konzeptuellen Ort im Kontext der zwei brasilianischen Modernen.

Durch seine (Neu-)Übersetzungen von John Miltons Sündenfallepos Paradise Lost hat der Schweizer Philologe Johann Jakob Bodmer wegweisende Debatten über das Wesen der Dichtung und eine neue Ausdrucksqualität in der Literatursprache des Deutschen angestoßen. Der Literaturwissenschaftler Wolfgang Hottner erklärt Bodmers Milton-Übertragungen zur Urszene eines interventionistischen Verständnisses von Übersetzungen, das einem Impetus von Störung folgt und in einen gegenwärtigen Sprachzustand einzugreifen vermag.

MATERIALS
Wie Lyrik übersetzen? Lyrikübersetzer·innen und Literaturwissenschaftler·innen widmen sich in einem dialogischen Format Übertragungen, die experimentelle Wege und Verfahren des Übersetzens einschlagen. An eine Lesung und Kurzvorstellung eines Gedichts und (s)einer Übersetzung schließt ein Gespräch über das Potential und die Grenzen der jeweiligen Translationstechnik an: Was und wie wird hier übersetzt? Welches kritische Potential liegt in der gewählten Methode; worauf richtet sich die Kritik? Wo liegen Grenzen oder blinde Flecken der Übersetzung?

2002 legt Oskar Pastior 43 „Intonationen“ von Charles Baudelaires Gedicht Harmonie du soir vor, die den Wortlaut des Originalpoems etwa in Anagrammen wiedergeben, ihn ins semantische Gegenteil verkehren oder auf Basis des Konsonanten- oder Vokalmusters ins Deutsche übertragen. Marion Maurin, Literaturwissenschaftlerin und Übersetzerin, und Felix Schiller, Lyriker und Übersetzer, sprechen über den Impuls und das Vermögen dieser Übersetzungsanläufe.

Hannes Bajohr übersetzt Paul Celans Corona, indem er mithilfe der Synonymfunktion des Textverarbeitungsprogramms Word jedes Nomen, Verb und Adverb des Celan’schen Textes gegen ein Wort mit ähnlicher Bedeutung austauscht. Simon Godart, Philosoph und Literaturwissenschaftler, und Anna Luhn, Literaturwissenschaftlerin und Übersetzerin, sprechen über den Raum, der sich in dieser intralingualen Übersetzung zwischen dem Original und seiner Variation ergibt.

Paul Celan: Corona. In: Mohn und Gedächtnis © 1952, Deutsche Verlags-Anstalt, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH.
Hannes Bajohr: Kranz. In: Halbzeug. Textverarbeitung © 2018, Suhrkamp Verlag, Berlin.

Celia und Louis Zukofskys 1969 entstandene, philologisch kenntnisreiche ‚Oberflächenübersetzung‘ von Catullus’ carmen 51 – selbst eine Übertragung eines Gedichts von Sappho – transformiert das lateinische Original in ein Englisch, das sich dem Klang, der Metrik und der Syntax des Ursprungsgedichts anschmiegt. Melanie Möller, Klassische Philologin an der Freien Universität Berlin, und Shane Anderson, Übersetzer und Autor, loten die Verfremdungsqualitäten der Übertragung aus.

All Louis and Celia Zukofsky materials © Musical Observations, Inc. Used by permission.

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