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Wolfsfamilie im Sommer

Eva Tepest

Stoffe_Tepest

Seit diesem Frühjahr sehe ich alles in Form von Puzzleteilen. Die Münder meiner Freund*innen eine Fläche aus rosarot, die ein Pappstück in zwei oder fünf teilen könnte. Mein brauner Ledersessel mit dem grauen Überwurf eine Gleichung, die es zu lösen gilt. Wenn ich die Augen schließe, sehe ich mein aktuelles Projekt, eine “Wolfsfamilie im Sommer” oder Klimt, den ich nie mochte, aber jetzt genau studiere und in meinen Körper aufnehme.

Und auch über das Schreiben legt sich ein abstraktes Puzzle-Firnis: Worte wie Nachbilder im Google Doc, Sätze, die sich mit der Zeit ausrollen, getippte Buchstaben, die ihren vorgesehenen Platz finden. So eine Abfolge des Lebens, die eigentlich ein Gebet ist.

Letztes Jahr habe ich viel Georges  Perec gelesen, aber ich weiß erst jetzt, dass er ein Puzzle-Master war. Er schreibt: “every move the puzzler makes, the puzzle-maker has made before; every piece the puzzler picks up, and picks up again, and studies and strokes, every combination he tries, and tries a second time, every blunder and every insight, each hope and each discouragement have all been designed, calculated, and decided by the other.” In Leben: Eine Gebrauchsanweisung verteilt der Millionär Bartlebooth 500 Aquarelle, die er in 500 Häfen malte, bevor er sie von einem Puzzle-Meister zerschneiden ließ, um sie wieder zusammenzufügen. Doch Winckler stirbt über dem letzten Teil des 439. Puzzles, das nicht die fehlende Form eines “x” aufweist, sondern des “w”. Das Puzzle des Lebens führt immer in den Tod, das Geschriebene wird nie ready sein.

Vor ein paar Jahren dachte ich, ich müsste abends Dinge unternehmen. Dabei scheue ich die Menschen nach 17 Uhr, ich rauche zu starken Tabak und Weed, um die Gemeinschaft auszuhalten.

Jetzt hocke ich meistens auf einem Kissen auf dem Fußboden und wiege ein Teil nach dem anderen in der Hand, I pick up and pick up again, study and stroke. Manchmal schaue ich eine langsame Sport-Doku über Radfahrer oder College-Football, manchmal telefoniere ich, selten ist jemand bei mir und wir puzzeln gemeinsam. Ich kann besser reden, wenn ich etwas mit meinen Händen anfangen kann. Doch meistens ist es still und während ich puzzle, neigt sich draußen der Frühlingstag.

Ich bin nicht alleine, wenn ich puzzle. Ich muss nur sitzen bleiben und zusehen, wie das Licht herein kommt.

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