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Vom Wert der Arbeit

Julia Friedrichs

Wert und Selbstwert © Julia Friedrichs

Wert und Selbstwert © Julia Friedrichs

Sait, der seit 18 Jahren die U-Bahnhöfe in Berlin reinigt, kennt den Wert, der seiner Arbeit zugewiesen wird, natürlich genau:

10 Euro 56, als wir uns 2019 zum ersten Mal trafen.
11 Euro 11 nach dem ersten Pandemie-Jahr und viel Applaus. (Wobei der 20 Euro Online-Einkaufsgutschein, den er als Dank erhielt, nicht unterschlagen werden darf.)
8 Euro 30 bei seinem Einstieg 2002.
7 Euro 35 nach den Arbeitsmarktreformen der rot-grünen Bundesregierung.

Das reicht nicht, reichte nie. Nicht für vier Personen, für 70 Quadratmeter gut abgelebten Wohnraum, die Laube an der Autobahn, die Wünsche der Teenager-Kinder und schon gar für das Gefühl respektiert zu werden.
Es lässt sich mit einfacher Rechnung der Maximalwert der Arbeit bestimmen, den sich die Berliner Verkehrsbetriebe einen sauberen Bahnhof kosten lassen wollen:

Sait darf 40 Minuten für eine Station brauchen.
Eigentlich sollten sie zu zweit unterwegs sein. Der Job kann schnell heikel werden. Menschen schlafen auf Bänken, spritzen in Durchgängen, pissen in Ecken. Da stört die Reinigung enorm.
Aber Saits Sicherheit scheint keinen Begleiter wert zu sein. Er muss es allein schaffen.
Kehren, bis rauf zu den Fahrradständern, wischen bei grober Verschmutzung, Mülleimer leeren, Fahrkartenautomaten feucht putzen, Rolltreppen, die Ruheräume hinter dem Spiegel am Ende des Gleises.
40 Minuten Zeit. Macht 7 Euro 40 pro Bahnhof.

Was es bis Anfang der 1990er vor dem Outsourcing als Mehrwert noch dazugab, aber gestrichen wurde:
Eine Monatskarte für das Netz der BVG. Weihnachtsgeld. Urlaubsgeld und – großer Verlust: Ekelprämien. 7 Mark für das Wegwischen von Erbrochenem, Urin, Kot.

Was Saits Arbeit eigentlich wert ist, sieht jeder Fahrgast sofort, wenn er mal einen Tag nicht da war. Genau wie jedem der Wert von Kassiererinnen, Regaleinräumern, LKW-Fahrerinnen, Pflegern und Müllleuten sofort und unmittelbar klar ist.

Anders bei denen, deren Tätigkeit David Graeber in seinem gleichnamigen Buch: „Bullshitjobs“ nannte: Berater, Fachanwälte für Gesellschaftsrecht, Marketingspezialisten zum Beispiel.
Schaut man aber in deren Gehaltstabellen, finden sich Stundensätze von 120, 150, 170, 200 Euro und mehr.
Eine Stunde Anwaltsberatung, moderater Satz, ist also so viel wert wie die Reinigung von 20 U-Bahnhöfen.


 

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Dieser ›Stoff‹ ist Teil von »Stoffe: Wert und Selbstwert«, Lesung und Gespräch mit Jörg-Uwe Albig und Julia Friedrichs am 04. Juli 2022.

Materialsammlung »Stoffe«

Wert und Selbstwert © Julia Friedrichs

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