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Träume

Elias Hirschl

31_Hirschl_Träume_Realsurrealismus, © Liz Orion

Realsurrealismus, © Liz Orion

Der Stoff aus dem die Träume sind

Selbstporträt anhand Träume anderer Leute, in denen ich vorgekommen bin:

Fabian träumte, er hätte mich zu einer Talkshow begleitet, in der ich mich abfällig über die Mona Lisa geäußert haben soll. Ich soll sie dort als lächerliches Bild bezeichnet haben, völlig ausdrucksleer und überbewertet, zudem klein, verblasst und hässlich. Anschließend soll ich meinen Rucksack geöffnet haben und beförderte mit den Worten „Das hier ist mal richtige Kunst!“ ein Bild zu Tage, welches ich selbst gemalt hatte. Es trug den Titel „Brennendes für Belgier“ und wurde vom Moderator ans Publikum versteigert.

Samuel hat geträumt, er wäre mit mir im Auto unterwegs, gefühlt bei Heidelberg, und wir wären eine Art Treppe hochgefahren, die dann aber zu eng wurde, und schließlich mussten wir das Auto in seine Einzelteile zerlegen, es die Treppe Stück für Stück hochbefördern und es oben wieder zusammensetzen. Aber am oberen Ende der Treppe schlief jemand, und wir mussten die schlafende Person erst wegtragen. Es sei eine nette Erfahrung gewesen, so Samuel.

Auch mein Bruder träumte mich in einem Auto. Zusammen mit ihm, Billie Eilish und Kathrin von der Band Shark Tank, die mein Bruder persönlich kennt, fuhren wir gen Süden. Ich schlief am Beifahrersitz, Billie am Steuer, na klar. Irgendwann standen wir auf einem Parkplatz vor einer Autofähre irgendwo in Kroatien, um auf eine Ferieninsel überzusetzen. Menschen kamen mit Putzlappen und Wassereimern an und begannen ungefragt unsere Windschutzscheibe zu wischen. Niemand sprach uns auf Billie an, obwohl sie sehr berühmt ist.

Simona träumte mich in einem anderen Verkehrsmittel, und zwar in einem Wieselzug, also einem zweistöckigen Regionalverkehrszug Richtung Niederösterreich. Sie machte heimlich ein Foto von mir und rannte dann peinlich berührt weg. Zuhause war sie sehr traurig darüber, nicht mit mir gesprochen zu haben.

Tamara träumte, dass ich und Katrin Rauch zusammen eine Band gründen. Es begann ganz harmlos als Lipsynchbattle in einer Bar, aber irgendwann machten wir richtig fette Technomusik, und es waren dann zehntausend Leute auf dem Konzert in einer zweistöckigen Halle und sie mittendrin, sie mitten in der Menge, sie tanzte sich die Seele aus dem Leib, warum zum Teufel hat sie das geträumt.

Parki träumte, ich würde einen Fußball-Podcast betreiben. Ich moderierte Spiele, ich kommentierte die Spieler und Spielerinnen und erzählte relevante Statistik-Facts und erheiternde Anekdoten über die Privatleben der Spieler. Ich soll mich sehr gut mit Fußball ausgekannt haben, im Traum, so Parki.

Scharmien träumte, sie wäre von einem Café weggegangen, in dem sie ihr Gehalt vom Theater abgeholt hatte. Sie sei anschließend mit ihrem Freund unterwegs gewesen und habe mich dann zusammen mit ein paar anderen Leuten aus der Szene zufällig auf der Straße getroffen. Sie sodann zu mir gegangen, um mir beim Packen zu helfen, weil ich alle meine Sachen in kleine Kisten räumte, um sie nach Berlin zu übersiedeln für all diese Residency-Stellen. Scharmien war gerade auf der Suche nach einer neuen Wohnung und überlegte deshalb in meine freiwerdende Wohnung zu ziehen. Sie war jedoch zu klein. Trotzdem waren wir dann gemeinsam mit ein paar Leuten im Wohnzimmer, wo auch mein Bett stand. Im Bett, so Scharmien, hätten wir sodann rumgeknutscht, aber es sei kein sinnliches Rumknutschen gewesen, sondern ein spaßhaftes Rumknutschen, und Scharmiens Freund war da und war extrem cool damit, er stand nur so daneben und hat uns wohlwollend beim Knutschen zugeschaut. Irgendwann fielen wir vom Bett und machten uns Käsetoasts.

Meine Mutter träumte, ich postete ein Foto eines Fieberthermometers, das über 40 Grad anzeigte in die Familien-WhatsApp-Gruppe.

Luise träumte ein klassisches Horrorszenario. Eine Gruppe Menschen, von halbmenschlichen Supernatural Entitys in einem Haus eingesperrt, wird dazu gezwungen, irgendwelche Murder Games zu spielen. Ich sei irgendwie entkommen, und es hätte einen epischen bedeutungsvollen Blickmoment zwischen mir und meinem Verfolger durch das Fenster gegeben, bevor ich actionreich den Berg hinuntergeslidet sei. Dann wurde es ein bisschen trippy.

Wir fassen also zusammen: Ich kann Auto fahren, fahre mit dem Wieselzug, knutsche spaßhaft in meiner halbleeren Wohnung kurz vor meinem Umzug nach Berlin, bin davon überzeugt, dass meine Kunst besser als die Mona Lisa ist, habe Fußball-Expertise, kenne Billie Eilish persönlich, flüchte problemlos vor mörderischen Halbgöttern aus einer Berghütte, bin Teil einer erfolgreichen Technoband und habe über 40 Grad Fieber.

 


 

Woraus besteht die Gegenwartsliteratur? Unsere Reihe im Rahmen von »Neustart Kultur« fragt: Woraus ist die deutschsprachige Gegenwartsliteratur gemacht, aus welchen Materialien, Gegenständen und Ideen besteht sie, aus welchen Stoffen gewinnen Texte heute ihre Kraft? Mehr Infos zur Veranstaltungsreihe hier.

Dieser ›Stoff‹ ist Teil von »Salonfähig«, Lesung und Gespräch mit Elias Hirschl am 17. Februar 2022, moderiert von Wiebke Porombka.

Materialsammlung »Stoffe«

31_Hirschl_Träume_Realsurrealismus, © Liz Orion

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