LCB

Experrimentewes Shchreibm

Ann Cotten

Spritz Jubiläum

I

Bei der Vorstellung/Beschreibung meines Schreibens gab es oft ein Missverständnis, das besonders schwierig zu beheben war, weil mein Einspruch dagegen die Vorstellung, die aus meiner Sicht falsch war, zu bestätigen schien. Es wurden Vokabeln wie ›frech‹ oder ›rebellisch‹ benutzt, Phrasen wie „schreibt gegen herkömmliche Vorstellungen an‟, „verweigert etablierte Sichtweisen‟ oder „arbeitet mit Brüchen und bricht mit Erwartungshaltungen‟. Aus meiner Sicht waren die herrschenden Paradigmen und geläufigen Erwartungshaltungen, gegen die ich angeblich meine Tätigkeit ausrichtete, schlicht irrelevant und ästhetisch unbrauchbar. Nicht einmal im Negativen würde ich meine Arbeit von ihnen beinflussen lassen wollen. Was solche Idioten denken, ist mir schnurz, ich schreibe für die Verständigen und Subtilen, und wenn ich an eine Wirkung beim Rest denke, dann wünsche ich, dass sie sich gedemütigt fühlen sollen und alle die von ihrem Gequatsche gequälten, von tyrannischer Ignoranz zerschundenen Seelen fortan mehr respektieren und in Ruhe lassen. Ich biete sogar das Zuckerbrot an, dass sie – wenn sie nur zugeben, auch subtile und offene Wahrnehmungen zu haben – große Vergnügen mit meinen Texten erleben können.

Nach längerer Beobachtung kann ich nicht mehr die diplomatische Sichtweise darauf halten, dass diese Irrtümer unschuldige wären. Auch wenn im Einzelnen Ahnungslosigkeit, Ignoranz, Indolenz dahinter stecken mag, strukturell ist es für Herrschende, wie z. B. herrschende Paradigmen, ganz wichtig, Widerstand, Widerspruch, Gegenmeinungen als (ohnmächtige, vielleicht jugendliche) Rebellionen kleinzuhalten. Ja, ein steter Strom an Protest, der sie wie eine pompöse Schleppe begleitet, gehört zu ihrer Pracht und ihrer Würde. Gäbe es nicht den strudelnden Marginalienfluxus von Punks, Fräuleinwundern, leider wahnsinnig werdenden Dichternnnie, schwierigen Künsternnnie und so weiter, würde etwas Atmosphärisches fehlen, wie einem dicken Schiff die Möwen und die Bugwellen fehlen. Diese Rolle des Marginalen ist leicht einzunehmen und auf Dauer tödlich, ebenso tödlich wie die Institutionalisierung. Ich weiß, wir sind sterblich, aber wir könnten die zerstörerische Kraft unserer Rohstoffverbrennung etwas besser koordinieren. Wahrscheinlich habe ich mich gegen diese systematisch marginalisierenden Beschreibungen des Experimentellen bislang nicht genug distanziert.

 

II

In Wien war das experimentelle Schreiben Standard und hoch angesehen, wenn auch ignoriert. Diese soziale Atmosphäre machte einerseits schwer, leichthin abzutun, was da passierte, wie es in Deutschland oft passiert (und wo mir die Respektlosigkeit wirklich wehtut). Es war aber auch schwer, unbefangen damit umzugehen. Es gab eine hohe Schwelle, das war aber auch das Verführerische, das Anstachelnde daran. Du musstest, wie bei Jazz-Größen, als Neuling dich eine ganze Weile einhören, beobachten, still lernen, bevor du wagst, selbst mitzumachen – Leute, die das unterschätzen und einfach mit ihrem Shit reinplatzen, tun eben ästhetisch weh. Strömen diesen Gore-Tex-Anspruch aus, überall hintrampeln zu dürfen, im Namen der Freiheit, die in Wirklichkeit Ignoranz ist: Wenn du kapieren würdest, was hier läuft, hättest du Scheu.

Nichts schlimmeres also, als wenn ältere, sehr subtil und einzigartig arbeitende Kollegenni von Fernsehfritzen und Journalisten regelmäßig in Halbsätzen abgetan werden. Durch die Würdeschicht kann man sich als jungre Rezipientni durchbeißen. Auch wenn man manchmal am Ende desillusioniert ist, auch wenn man sich Jahrelang an ›Wizards of Oz‹ von überlebensgroßen Heroennni der experimentellen Kunst orientiert hat – immerhin ist man selbst daran erzogen worden, und so bleibt die Kulturform, gewissermaßen als Umriss des Ideals, den die jungen noch nicht erreichen, die alten nicht mehr. So funktioniert Schwarmperfektion.

Ab der Desillusionierung fehlen ja die Sterne – deswegen kriegt man diese Form, als älterre, nicht mehr zusammen. Deswegen heißen Ahnen Ahnen, ihre Erscheinungsform ist in den Köpfen der Nachkommen, da aber von höchster Wichtigkeit. Ahnen muss man ehren, und das ist eine Sache höchster Präzision.

 

IV

Aber zum Inhalt des Experimentellen, was ist es eigentlich? Nein, falsche Frage. Das Eigentliche gibt es nicht, Inhalt sowieso nicht, alles nur Formen. Humus von anderen Formen. Kein Material ohne Charakteristika denkbar, diese sind eben die Form, die nicht ohne Material zustanden kommt, denkbar ist.

 

V

Experimentell, was heißt das? Es gibt viele Beschwerden über diesen Begriff. Ich finde ihn eigentlich ganz gut. Er hat eine Bedeutung, die sich erst in Zeit und in Tun entfaltet. Es geht nicht ohne Erosion und Deformation der tätigen Person – wie jeder Lernprozess. Das ist nicht ein Besser-Werden. Es ist ein Speziell-Werden, ein Verfeinern, ein Absterbenlassen von Alternativen, ein Sich-Ausliefern, an ein paar Idole, Ideen, Gerüche, Ahnungen, an die man glauben kann, oder das meint; Träume, die vielleicht verschwinden, wenn man selbst mit dem deformierten träumenden Körper ihre Form angenommen hat.

 


 

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Dieser ›Stoff‹ ist Teil von »Stoffe: Zeitgeist« zum 60. Geburtstag der Zeitschrift »Sprache im technischen Zeitalter«.

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