LCB

Das Humankapital

Jörg-Uwe Albig

The Wedding Contract © Quentin Metsys, 1466

The Wedding Contract © Quentin Metsys, 1466

Kritik der psychischen Ökonomie

Die Person ist zunächst ein äußerer Gegenstand, ein Ding, das durch seine Eigenschaften menschliche Bedürfnisse irgendeiner Art befriedigt. Die Natur dieser Bedürfnisse, ob sie z. B. dem Magen oder der Phantasie entspringen, ändert nichts an der Sache. Jede solche Person ist ein Ganzes vieler Eigenschaften und kann daher nach verschiedenen Seiten nützlich sein.

Eine Person scheint auf den ersten Blick ein selbstverständliches, triviales Ding. Ihre Analyse ergibt, dass sie ein sehr vertracktes Ding ist, voll meta-physischer Spitzfindigkeit und theologischer Mucken. Die Form des Fleisches z. B. wird verändert, wenn man aus ihm einen Menschen macht. Nichtsdestoweniger bleibt der Mensch Fleisch, ein ordinäres sinnliches Ding. Aber sobald er als Person auftritt, verwandelt er sich in ein sinnlich übersinnliches Ding. Er steht nicht nur mit seinen Füßen auf dem Boden, sondern er stellt sich allen andern Personen gegenüber auf den Kopf und entwickelt aus seinem Fleischkopf Grillen, viel wunderlicher, als wenn er aus freien Stücken zu tanzen begänne.

Der Gebrauchswert verwirklicht sich im Gebrauch oder der Konsumtion. Der Tauschwert scheint dagegen etwas Zufälliges und rein Relatives. Ein dem Menschen innerlicher, immanenter Wert (valeur intrinsèque) ist also eine contradictio in adjecto, ein Widerspruch in sich.

Es könnte scheinen, dass, wenn der Wert eines Menschen durch das während seines Lebens verausgabte Arbeitsquantum bestimmt ist, je fauler oder ungeschickter ein Mann, desto wertvoller seine Person, weil er desto mehr Zeit zu ihrer Verfertigung braucht. Aber nur die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit zählt als wertbildend.

Ein Mensch kann einen Gebrauchswert haben, ohne einen Tauschwert zu haben. Es ist dies der Fall, wenn sein Nutzen nicht durch Arbeit vermittelt ist. Wie Luft, jungfräulicher Boden, natürliche Wiesen, wildwachsendes Holz usw.

Der Wert steht dem Menschen nicht auf der Stirn geschrieben. Um ihre Gefühle aufeinander als Personen zu beziehn, sind die Menschen aber gezwungen, die Person einem Wert gleichzusetzen. Es ist dies eine naturwüchsige und daher bewußtlos instinktive Operation ihres Hirns, die aus der besondern Weise ihrer materiellen Produktion und den Verhältnissen, worin diese Produktion sie versetzt, notwendig herauswächst.

Die Privatpersonen treten erst in gesellschaftlichen Kontakt vermittelst ihrer Sachen. Ihre Verhältnisse zur Gesamtgesellschaft vergegenständlicht sich ihnen gegenüber und existiert daher für sie in den Formen von Gegenständen. Unser eigner Verkehr als Warendinge beweist das. Wir beziehn uns nur als Tauschwerte aufeinander.

Da der Tauschwert eine bestimmte gesellschaftliche Manier ist, die auf einen Instagram-Post verwandte Arbeit auszudrücken, kann er nicht mehr Naturstoff enthalten als etwa der Wechselkurs.

Die wirkliche Beziehung der Menschen aufeinander ist ein Austauschprozess. Der Mensch aber ist unmittelbare Einheit von Gebrauchswert und Tauschwert, also zweier Entgegengesetzten.

Er ist daher ein unmittelbarer Widerspruch.


 

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Dieser ›Stoff‹ ist Teil von »Stoffe: Wert und Selbstwert«, Lesung und Gespräch mit Jörg-Uwe Albig und Julia Friedrichs am 04. Juli 2022.

Materialsammlung »Stoffe«</spa

The Wedding Contract © Quentin Metsys, 1466

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