Joker und Godot

Während ich diese Worte schreibe, regnet es in Tirana, es regnet ohne Unterlass, seit Tagen schon, ein düster-beharrliches Tröpfeln. Die Menschen schauen hinauf zu den bleigrauen Wolken und lächeln. Der trockene Erdboden hat auf das Wasser gewartet, doch der Beton in der Stadt kann den Regen nicht aufnehmen, die Straßen verwandeln sich in breite Ströme.

Eben habe ich geduscht, nicht zu lange, nicht zu kurz, gerade so, dass ich keine Gewissensbisse haben muss. Ich musste an meine Kindheit denken, als Wasser einfach Wasser war. Das Meerwasser war immer kalt, das Wasser in den Flüssen trügerisch. Gefährlich, wenn auch nicht durch eigene Schuld. Wasser konnte Leben nehmen, doch einen Mangel an Wasser gab es nie.

Erst als ich nach Tirana kam, begriff ich, was Wassermangel bedeutet. Albanien hat neben Norwegen eines der weltweit größten Wasservorkommen, trotzdem kann es passieren, dass wegen der schlecht funktionierenden Infrastruktur nur wenige Stunden am Tag Wasser aus den albanischen Wasserhähnen fließt. Auf dem Dach fast jeden Hauses steht ein großer Tank, der Regenwasser auffängt für die Zeiten, in denen nichts aus der Wasserleitung kommt. In meiner ersten Wohnung in Tirana floss das Leitungswasser um drei Uhr nachts. Nach einem heißen Tag in der Stadt, wenn man nur noch den Wunsch hatte, sich endlich Schweiß und Staub abzuwaschen – hieß es warten, voller Ungeduld, unter der klebrigen Schicht, die sich auf die ganze Haut gelegt hatte. Duschen war zu einem exklusiven Vergnügen geworden.

Zu den Problemen mit der Wasserversorgung, die sich in letzter Zeit häufen, sagt der Vizeminister für Infrastruktur klipp und klar: „Albanien ist nicht die Schweiz! Die Albaner glauben wohl, sie wären Schweizer, dass sie sich jeden Tag waschen wollen. Als ich jung war, badeten wir alle ein Mal in der Woche, und das Wasser hat vollkommen ausgereicht!“

Weil das Problem sich über Wochen hinzieht, ist das Wasser den Albanern und Albanerinnen zur Obsession geworden. Wie vor vierzig Jahren müssen die Menschen in Tirana Schlange stehen, diesmal allerdings an Wassertanks. Endlos reihen sich Luxusautos hintereinander, auf den Rücksitzen Stapel von Plastikkanistern. Als ich einmal nach mehreren Monaten zurück nach Tirana komme, lehnt an der Hauswand meines Freundes eine Graffiti-Schablone: „Duke pritur Godonë“ – „Warten auf Godot“ steht darauf, und über dem Schriftzug der Ausschnitt eines Baumes mit Kanistern an den Zweigen. Wütende junge Leute haben begonnen, überall in der Stadt Graffitis anzusprayen, um die Absurdität des Ganzen zu verdeutlichen. Diese Bilder des Zorns, die Nacht für Nacht auftauchen, werden Tag für Tag von einer tapferen Garde des Bürgermeisters wieder übermalt. Doch das Problem verschwindet damit nicht.

Wie in Becketts Stück warten die Menschen tagelang. Ihre Verzweiflung wächst, und mit ihr das Gefühl der Hoffnungslosigkeit. Nicht nur auf Wasser warten sie, sondern auch auf jemanden, der ihr Schicksal in andere Bahnen lenkt. Der endlich die Zustände in ihrem Land ändert. Normalität einführt. Ihnen Arbeit gibt, Brot und Wasser.

Wer immer das sein wird. Godot oder Joker. Irgendjemand, der Veränderung bringt, eine Revolution. Jemand, der endlich gegen die Ungerechtigkeit kämpft, der etwas gegen die Hoffnungslosigkeit tut. Albanien, sagen die Menschen hier manchmal, ist ödes Land. Ein Land, in dem alle Hoffnungsquellen ausgetrocknet sind. Die EU ist Albaniens Godot, auf den alle warten, und der doch niemals kommen wird. Sollte an seiner Stelle der Joker auftreten, dann ist er die Wut, die Verzweiflung dieser Menschen. All derer, die geblieben sind, und all derer, denen die Flucht in bessere Welten gelungen ist.

Und hier, wo alle auf Wasser warten, beginnt die ausgedörrte Erde zu brennen.

Übersetzung: Lisa Palmes