Leselampe

2022 | KW 41

© Paul Bokowski

Buchempfehlung der Woche

von Kirsten Fuchs

Kirsten Fuchs, geboren 1977 in Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) geboren, lebt in Berlin. 2003 gewann sie den renommierten Literaturwettbewerb Open Mike. Zwei Jahre später veröffentlichte sie ihren vielgelobten Debütroman Die Titanic und Herr Berg. Es folgten Heile, heile und Mädchenmeute, für das sie den Deutschen Jugendliteraturpreis erhielt. Der Roman wurde zum Bestseller, 2021 erschien die Fortsetzung Mädchenmeuterei. 2022 wurde Kirsten Fuchs mit dem W.-G.-Sebald-Literaturpreis ausgezeichnet.

Ruth Herzberg
Wie man mit einem Mann unglücklich wird
(Roman), mikrotext, Berlin 2021

Wie man mit einem Mann unglücklich wird von Ruth Herzberg ist ein schmaler Band, erschienen 2020 im Verlag Mikrotext, der auch weitere Bücher von Ruth Herzberg im Programm hat. Das Buch hat ebenso wie die Coronatagebücher Die aktuelle Situation 1-3 begeisterte Fans, zu denen ich mich auch zähle. Ruth Herzbergs Kunst kommt so daher als wollte sie nicht groß bejubelt werden, weil sich die Bücher zeigen und verstecken gleichzeitig, sich selbst klein machen und genau darin großartig sind. Etwas das mich sofort berührt und erfasst und mit Ruth Herzberg in einen leisen Fanclub eintreten lässt. Ich möchte diesem Schamhaften, Verschworenen jetzt nicht nachgeben, sondern ganz groß und laut sagen, dass diese Bücher echte Perlen sind und ich möchte nicht, dass sie für immer als Geheimtipp gehandelt werden.

Ich kaufe oft Bücher, lese viel und verkaufe oder verschenke sehr viele Bücher nach dem Lesen sofort weiter. Wie man mit einem Mann unglücklich wird würde ich nie verkaufen. Ich bin mir sicher, dass ich das Buch immer wieder lesen werde, weil es mich immer wieder überrascht als Buch und als Effekt auf mich.
Eine Frau verliebt sich in einen Mann, der sie nicht zurück liebt. Die Affaire am Anfang ist allerdings nur der Einstieg in eine Geschichte über Obsession, Hingabe, Sucht, Machtprozesse, Selbstaufgabe, Unsicherheit und Geschlechterrollen. Die Ich-Erzählerin wird von ihrem Liebhaber immer so viel angefüttert und weggestoßen, dass alles in Bewegung bleibt, obwohl es sich nur innerlich bewegt. Seitenlang wechseln die Erkenntnisse satzweise. Die eigene Positionierung wechselt in rasantem Schlingern. Ein Ringen um Stabilität in einem instabilen Zustand. Diese Dynamik ist stellenweise lustig, aber auch ununterbrochen furchtbar, anziehend, abstoßend, dass es mich hin- und herboxt beim Lesen. Das Sezieren am eigenen Herz bei dem ich hin- und wegschauen möchte.

Ich habe selten ein so kurzes Buch gelesen, bei dem in mir so viel Gefühlsbandbreite und Redebedarf hochschwappte. Ein Abgrund, der einläd hineinzuweinen und sich einzubilden, dass hier auch ein Geschlechterungleichgewicht anzuglotzen ist. Natürlich könnte die Geschichte auch von einem liebeskranken Mann handeln, aber vielleicht würde diese literarische Figur dann anders handeln, als sich selbst so aufzulösen und auflösen zu lassen. Verunglückte Lieben, bei denen dem weiblichen Part das Selbstbewusstsein genommen wird und danach durch den männlichen Part in Bröckchen wieder zugeteilt wird, kennen wir aus Liedern, Filmen, dem Alltag, eventuell von uns selbst. Dass sie oft romantisch erzählt werden, sorgt für eine Festschreibung dieser Wiederholungen.

Und hier hört es auf privat zu sein. Hier beginnt die Geschichte, bei der sich oft gefragt wird, warum ein Mensch sich in solche Zustände begibt und dort verweilt. Warum kann sie nicht klüger sein und gefälligst eine bessere literarische Figur sein, die eine vernünftige Heldenreise erlebt? Warum überhaupt bin ich von dem Verhalten der Ich-Erzählerin oft entsetzter als von dem Verhalten des Gegenparts?
Das ist keine Liebesgeschichte. In dem Sinne, dass es nicht um Liebe geht. Und nochmal: das ist keine Liebesgeschichte. In dem Sinne, dass diese Geschichte wesentlich mehr ist. Eine weitere Ebene auf der mich das Buch beschäftigt, ist die Frage, wann ich, ob ich, jemals in die Nähe kommen möchte so nackte und verletzliche Texte zu schreiben. Ich bin froh, dass dieses Buch mich schält, in meinen Lesegewohnheiten und Denkgewohnheiten.

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